Herzlich willkommen zum zweiten Teil der Reihe ‚Also sprach Judith Butler: Geschlecht für Alle und Keinen‘. Heute werde ich mich mit dem Gesetz beschäftigen. Der Begriff taucht immer wieder auf in ‚Das Unbehagen der Geschlechter‘ und ich wollte mal herausfinden, was es damit auf sich hat.
Butlers Buch kann auch als Kritik an der zur damaligen Zeit bestehenden Form des Feminismus verstanden werden. Deswegen verwundert es nicht, dass es laut Butler „möglicherweise an der Zeit [ist], eine radikale Kritik zu entfalten, die die feministische Theorie von dem Zwang befreit, einen einzigen, unvergänglichen Grund zu konstruieren, der unweigerlich von jenen Identitäts- oder Anti-Identitätspositionen angefochten wird, die er zwangsläufig ausschließt.“1
Diese radikale Kritik beschränkt sie nicht auf den Feminismus. Butler scheint bei ihrer Arbeit auf etwas gestoßen zu sein, das ich in den folgenden Beiträgen einfach nur ‚das Gesetz‘ nennen will. Zu verstehen, wie dieses Gesetz funktioniert und was dieses Gesetz alles beherrscht, ist essentiell für ihre grundlegende Kritik.
Einführung in „Das Gesetz“: die Präambel
Bevor ich euch mit ‚unverständlichen‘ Zitaten aus ‚Das Unbehagen der Geschlechter‚ quäle, stelle ich lieber eine kleine Zusammenfassung an den Anfang. Wer mag kann danach auch gleich abbrechen. Für alle, die dann doch Bock auf mehr haben, hoffe ich, dass dieser kleine Auszug eine hilfreiche Vorkenntnis schafft. Also:
Judith Butler geht davon aus, dass es so etwas wie ‚ein Gesetz‘ gebe. Dieses Gesetz zwinge uns regelrecht dazu den menschlichen Körper in Mann und Frau zu unterscheiden. Um das zu bewirken, nutze das Gesetz die Biologie. Biologie wird (zwischen den Zeilen und am deutlichsten zwischen den Seiten 159 bis 165 von Butlers Theorie) als Erfüllungsgehilfe gesehen. Denn Biologie gehe, so Butler, immer von den Vorgaben des Gesetzes aus und könne niemals außerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen denken, geschweige denn forschen.
Auch könne es laut Butler keinen (Ur)Zustand vor dem Gesetz geben. Das Gesetz bzw. das Patriarchat (gemeint ist die Institution, die es bewahren will) hätte eine Geschichte erfunden, die erzählen würde, wie es vor der Einführung des Gesetzes war. Damit wolle man(n), so Butler, das Gesetz in seiner aktuellen Form legitimieren. Seine ‚aktuelle Form‘ meint, dass die Gesellschaft Heterosexualität und die damit verbundene Fortpflanzung als natürliche Gegebenheiten hinnehme. Dadurch, dass einem das alles (auch durch die Biologie) so glaubwürdig vorgegaukelt würde, käme man niemals auf die Idee dieses patriarchale Gesetz als unterdrückerisch zu empfinden bzw. zu hinterfragen.
Aber, das Gesetz bestimme ebenfalls wer als Mensch angesehen wird und wer nicht. Menschen, die sich als Mann und Frau beschreiben lassen, selber so sehen und dazu noch heterosexuell leben, sind ‚gesetzlich‘ akzeptiert. Wer jedoch aus diesem Rahmen fällt, der wäre laut Butler vom Gesetz so drastisch sanktioniert, dass er seinen Status als ‚akzeptierter Mensch‘ verliere. Außerdem bestimme das Gesetz darüber wen wir auf welche Art begehren. Durch die reglementierenden Homosexuellen- bzw. Inzestverbote (die aus Butlers Sicht lediglich durch den freudschen Ödipuskomplex hervorgerufen werden) nehme das Gesetz starken Einfluss auf unser Liebesleben.
Das Gesetz sei auch für die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur verantwortlich. Gesetzestreu sehen wir Natur als das Passive, welches von der aktiven Kultur durchdrungen würde. Natur stehe für das Weibliche und Kultur für das Männliche. Diese Unterscheidung sei aber völlig willkürlich, meint Butler, und unterstütze so die Heterosexualität, in der das aktiv-Männliche in das passiv-Weibliche eindringe. Laut Butler gebe es in Wirklichkeit aber keine Unterscheidung in Natur und Kultur. Beim Lesen wird deutlich, dass sich hinter dem Gesetz eigentlich nur die Kultur verbirgt. Ohne biologische Grundlage. Eine ursprüngliche Natur in dem Sinne wie man sie bisher kannte, gebe es nur, weil das Gesetz uns diese Geschichte einflößen würde. Das sagt sie nicht sooo explizit, aber Butler geht immer davon aus, dass alles bereits Kultur sei. Es gebe keinen (natürlichen) Urzustand, in den die Kultur prägend eindringen konnte. Es sei eben immer schon alles Kultur.
Kurz gesagt, hat Butler vielleicht bei folgendem Wort einfach die Hälfte weggestrichen: das Naturgesetz. Diese Auffassung verbirgt sich, vereinfacht gesagt, hinter ‚dem Gesetz‘. Wer will kann sich jetzt abschnallen und aussteigen. Für alle, die es gern ausführlicher möchten, geht’s weiter.
Einführung in „Das Gesetz“: Der Gesetzestext
Butler meint, dass sich das „Gesetz des Patriarchats als repressive, regulierende Struktur artikuliert“2 Damit dieses repressive oder unterdrückerische Gesetz überhaupt existieren kann, bedarf es „einer Geschichte, die erzählt, wie es vor der Ankunft des Gesetzes war und wie das Gesetz in seiner jetzigen, notwendigen Form entstanden ist. Die Erfindung solcher Ursprünge neigt dazu, einen Stand der Dinge vor dem Gesetz zu beschreiben, der einer notwendigen, eindimensionalen, linearen Erzählung folgt, die ihren Höhepunkt in der Stiftung des Gesetzes findet und dieses damit rechtfertigt. Die Geschichte von den Ursprüngen ist also eine strategische Taktik in einer Erzählung, die die Konstituierung [die Gründung] des Gesetzes als geschichtlich unvermeidlich erscheinen läßt, indem sie eine einzige autoritative Darstellung einer unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit liefert.“3 Es gibt also eigentlich keine Ursprünge? Keinen Anfang? Kein vorher?4 Hmmm.
„[D]as Gesetz“, so greift Butler an anderer Stelle in ihrem Buch den Gedanken wieder auf, „ist nicht einfach eine kulturelle Konvention [bzw. kultureller Vertrag], die einer sonst natürlichen Heterogenität [Verschiedenartigkeit] auferlegt wird. Vielmehr verlangt es Übereinstimmung mit seinem eigenen ‚Naturbegriff‘ und gewinnt seine Legitimität durch die binäre asymmetrische Naturalisierung der Körper„.5
Das ist jetzt ein bisschen tricky: Damit es das Gesetz geben kann, braucht das Gesetz, wie zitiert, seine eigene Entstehungs- und Erklärungsgeschichte, ein eigenes ‚weißt du noch damals‘. Diese Geschichte ist aber, laut Butler, frei erfunden. Jedoch braucht es diese Geschichte, um die Notwendigkeit des Gesetzes zu unterstreichen und um zu zeigen, dass die Einführung des Gesetzes und der dazugehörige Natur-Begriff, die einzig logische Konsequenz war.
Opa würde das in etwa so sagen: ‚Weißt du, Junge, bevor wir das Gesetz hatten, war alles durcheinander. Unsere Urväter haben sich damals alles genau angeschaut und aufgrund dessen, was sie beobachtet haben, uns ein schlüssiges Gesetz gegeben. Laut diesem durften Männer nur noch Männer und Frauen nur noch Frauen sein – weil es das Beste sei, sagten sie. Und auch dank des Gesetzes wussten wir, dass aus diesen beiden ein Kind entstehen kann.‘ So oder so ähnlich. Butler spricht (neben der Naturalisierung der Körper) auch von der „Naturalisierung der Heterosexualität“. Diese Heterosexualität bezeichnet sie aber als diskursive Konstruktion, „die in diesem grundlegenden strukturalistischen Rahmen zwar überall vorausgesetzt, aber nirgendwo erklärt [wird].“6 Die Wortwahl allein ist schon der Hammer, oder?
Lassen wir doch nochmal Opa erzählen, wie es damals war: ‚Damals haben die Leute eine Art Schablone erfunden: Alles was in diese Schablone passte, war kulturell anerkannt. Alles, was nicht passte und über den Rand hinausragte, wurde abgeschnitten.‘ Aber, so sagt Butler und grätscht damit voll in Opas Erzählung von damals rein: „Wenn die Sexualität in den bestehenden Machtverhältnissen kulturell konstruiert ist, erweist sich das Postulat einer normativen Sexualität ‚vor‘, ‚außerhalb‘ oder ‚jenseits‘ der Macht [bzw. Gesetz] als kulturelle Unmöglichkeit und politisch unrealisierbarer Traum.„7
Im Klartext sagt Butler, dass ‚unser Opa‘ lügen würde. Noch klarer und ohne Metapher: Butler meint, wenn es eine Sexualität geben sollte, wie wir sie aktuell zwischen Mann und Frau (noch) kennen, dann kann es sie niemals vor Einführung des Gesetzes gegeben haben. Die Unterteilung in eine heterosexuelle Gemeinschaft zwischen Mann und Frau ist selber immer schon gesetzlich bestimmt und damit selber immer schon Kultur. Meint zumindest die Judith. Schon im Anpreisen der „Zwangsheterosexualität“ werde, laut Butler, Macht ausgeübt und versucht uns eine Fabel aufzutischen: ‚Leute, das Gesetz beschreibt lediglich den Urzustand‘.
Die erwähnte Schablone – oder mit Butlers Worten – „[d]ie Schranken der Diskursanalyse [siehe Fußnote 8] der Geschlechtsidentität implizieren und legen von vornherein die Möglichkeiten der vorstellbaren und realisierbaren Konfigurationen der Geschlechtsidentität in der Kultur fest. Das bedeutet nicht, daß in Sachen Geschlechtsidentität prinzipiell alle und jede Möglichkeiten offenstehen, sondern daß die Schranken der Analyse auf die Grenzen einer diskursiv bedingten Erfahrung verweisen. Diese Grenzen wurden stets nach Maßgabe eines hegemonialen kulturellen Diskurses festgelegt, der auf binäre Strukturen gegründet ist„.8 Auf deutsch: Alles was nicht in die heterosexuelle Schablone passt, das könne gedanklich auch nicht erfasst werden; das gab und gibt es einfach nicht. So beschreibt Butler das Gesetz, das ständig versuche, die Heterosexualität am Leben zu erhalten und Menschen in dieses Raster zu pressen.
Und um das zu erreichen, wurde, so sieht es Butler zumindest, eine „stillschweigende kollektive Übereinkunft“9 getroffen. Diese Übereinkunft führe diskrete und entgegengesetzte Geschlechtsidentiäten (gemeint ist die Zweigeschlechtlichkeit als Mann und Frau) als kulturelle Fiktionen auf, es bringe sie hervor und erhalte sie.10 Aber diese stillschweigende kollektive Übereinkunft „wird sowohl durch die Glaubwürdigkeit dieser Produktion [gem. sind die entgegengesetzten, binären Geschlechtsidentitäten] verdunkelt als auch durch die Strafmaßnahmen, die diejenigen treffen, die nicht an sie glauben.“11
Sorry, dass wir hier das Zitat unterbrechen, aber habt ihr es mitbekommen? Die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen, die Heterosexualität wurde an dieser Stelle von Butler soeben zur Glaubenssache erhoben! Ok, weiter im Text:
„Die Konstruktion ‚erzwingt‘ gleichsam unseren Glauben an ihre Natürlichkeit und Notwendigkeit. Die geschichtlichen Möglichkeiten, die durch verschiedene leibliche Stile [wie Mann und Frau] materiell verwirklicht werden, sind nichts anderes als diese durch Strafmaßnahmen regulierten kulturellen Fiktionen, die unter Zwang wechselweise verkörpert und abgefälscht werden. Beachten wir, daß es die Sedimentierung der Geschlechter-Normen ist, die das eigentümliche Phänomen des ‚natürlichen Geschlechts‘, der ‚wirklichen Frau‘ oder jede Art von verbreiteter, zwanghafter gesellschaftlicher Fiktion hervorbringt. Genau diese Sedimentierung hat mit der Zeit einen Satz leiblicher Stile produziert, die in verdinglichter Form als natürliche Konfigurierung der Körper in Geschlechter (sexes) erscheinen, wobei die Geschlechter in einem binären Verhältnis zueinanderstehen.“12
Mann und Frau wären demnach nur eine erfundene Ablagerung, der Bodensatz quasi.13 Es existiere also nach Judith Butler ein Gesetz, das uns alle reguliert, das uns vorschriebe, wer wir sind, welche Lüste, welches Begehren wir haben und wie wir uns selbst interpretieren.14
„Dieses Gesetz wird nicht literal [buchstäblich] verinnerlicht, sondern einverleibt; damit entstehen Körper, die dieses Gesetz auf und durch den Körper bezeichnen. Das Gesetz wird dort als Wesen ihrer selbst, als die Bedeutung ihrer Seele, ihres Bewußtseins und als Gesetz ihres Begehrens offenbar. Tatsächlich ist das Gesetz zugleich gänzlich manifest und vollständig latent, da es niemals den Körpern, die es unterwirft und subjektiviert, äußerlich erscheint.“15 Das Gesetz gibt es demnach nicht im Buchhandel gedruckt. Das Gesetz gibt es nicht in Form von Text, sondern nur als Körper, die sich dieses Gesetz einverleibt haben.
Wie kam zum Gesetz?
Ich habe schon einiges erwähnt doch ein bisschen mehr ins Detail will ich noch gehen. Wie wurde das Gesetz denn nun aufgerichtet? Diese Frage versucht Butler auf ihre Weise im zweiten Kapitel von ‚Das Unbehagen der Geschlechter‚ zu beantworten. Dabei prangert sie immer wieder an, dass „[d]ie feministische Theorie […] bisweilen vom Gedanken des ‚Ursprungs‘ angezogen [wurde]: einer Zeit, die vor dem liegen soll, was einige das ‚Patriarchat‘ nennen, und einen imaginären Standort bieten würde, von dem aus die Kontingenz der Geschichte der Frauenunterdrückung aufgewiesen werden könnte.“16
Wir haben bereits gesehen, dass Butler diesen ‚Ursprung‘, der vor der Einführung des Gesetzes bzw. einer Kultur liegen würde, für frei erfunden betrachtet. Denn „[d]ieser Rückgriff auf eine ursprüngliche oder echte Weiblichkeit erweist sich als nostalgisches engstirniges Ideal“.17
Einen ‚Ursprung‘ zu akzeptieren, würde bedeuten, dass es eine (für Butler problematische) Unterscheidung zwischen Natur und Kultur gebe. Das würde bedeuten, dass es so etwas wie ein biologisches Weibchen gegeben habe, aus dem sich später kulturell die Geschlechtsidentität einer Frau entwickelt hätte. Damit wäre das Geschlecht an sich eine vorhandene Materie, etwas Substanzielles. Geschlecht wäre Natur, die von der Kultur durchdrungen worden wäre. Das lehnt Butler aber kategorisch ab, denn sie sieht dies „freilich [als] eine Diskursformation, die als naturalisierende Begründung für die Unterscheidung Natur/Kultur und die von ihr gestützten Herrschaftsstrategien fungiert.“18
Herrschaftsstrategie wäre in diesem Fall die Unterscheidung in Natur als das passiv Weibliche, welche von der aktiven, als männlich betrachteten Kultur, durchdrungen wird.
Butler zitiert dann ausführlicher den Psychiater Jacques Lacan und den Ethnologen Claude Lévi-Strauss. Aus deren Lektüre zieht Butler dann scheinbar folgenden Schluss:
Der ‚Mann an sich‘ hat eine vollkommene Sexualität. Nur „unterdrückt“ und „mißachtet“ er sie in dem Fall.19 Er verneint seine weibliche Seite und seine homosexuellen Anteile.20 Gleichzeitig richtet er das Inzestverbot21 auf, welches „die inzestuöse Vereinigung zwischen dem Jungen und der Mutter untersagt“22. Das „führt nach Lacan die Struktur der Verwandtschaft als eine Reihe von höchstregulierten Libido-Verschiebungen ein“.23 Vermutlich alles mit dem Ziel sich zu produzieren, sich zu reproduzieren. „In Wirklichkeit ist es […] das Gesetz des Vaters, das den weiblichen Körper sanktioniert und verlangt, daß er in erster Linie über seine Fortpflanzungsfunktion charakterisiert wird, als Gesetz natürlicher Notwendigkeit auf diesen Körper eingeschrieben.“24 Butler selbst: „Die Kategorie des Geschlechts gehört in ein System der Zwangsheterosexualität, das eindeutig über ein System der sexuellen Zwangsreproduktion funktioniert.“25 Und außerdem, sagt sie, würde „den Körpern der Frauen die Zwangsverpflichtung zur Reproduktion auferlegt.“26 Nochmal Butler: „Der Wunsch, das anatomische Geschlecht ein für alle Mal […] zu bestimmen, geht also scheinbar aus der gesellschaftlichen Organisation der sexuellen Fortpflanzung hervor, die eindeutige, unmißverständliche Indentitäten und Positionen der sexuell bestimmten Körper zueinander konstruiert.“27
Damit das funktioniert, muss der Mann wie gesagt seine weiblichen Anteile von sich abspalten. So aber definiert er sich nicht mehr als Mann und ‚das Andere Geschlecht‘ als Frau, „sondern [er definiert] lediglich den Schauplatz einer männlichen Selbst-Ausarbeitung“28 Der Mann muss also (imaginär/innerlich) seine weiblichen Anlagen und Anteile völlig von sich trennen (abspalten), denn nur so erschafft er die Frau und nur so entsteht sie im kulturellen Kontext. Die Frau ist nun alles was der Mann nicht ist. Der Mann ist existent. Die Frau hat lediglich alles, was der Mann nicht (mehr) ist. Er, der Mann ist das Sein und sie das Haben. In der Theorie ist sie lediglich sein Schauplatz. Bisschen verwirrend?
Er, der Mann ist in dem Falle das Sein und die Frau, die nun die vom Manne ausgelagerten weiblichen Anteile hat, wäre im Kontext des Gesetzes das Haben. „Jeder Versuch, eine Identität innerhalb dieser binären Disjunktion von ‚Sein‘ und ‚Haben‘ zu begründen, läuft unweigerlich auf den ‚Mangel‘ und den ‚Verlust‘ hinaus, die dieser phantasmatischen Konstruktion zurgrunde liegen“.29 Das ist schon echt geil, mit welcher Selbstverständlichkeit Butler die Zweigeschlechtlichkeit ins Reich der Phantasie hinabstürzt.
Es gibt in unserer Welt viele Binaritäten: zum Beispiel Vernunft und Wahnsinn. Wir würden ohne den einen nicht wissen, was der andere ist. Dabei ist Vernunft und Wahnsinn aber erst in der Zeit der Aufklärung medizinisch definierbar bzw. konstruierbar geworden. Das gleiche Prinzip gelte, so Butler, für Mann und Frau: binär. Freuds Theorie vom Ödipuskomplex30 erkläre lt. Butler, wie es immer wieder neu dazu käme, dass dieses System der sexuellen Zwangsreproduktion reproduziert würde. Dadurch sei die Heterosexualität und Binarität der Geschlechter über Generationen hinweg gefestigt worden. Freuds Theorie kritisiert Butler u.a. deshalb, weil Freud von männlichen und weiblichen Anlagen, von Weiblichkeit und Männlichkeit per se ausging, indem er vom Inzest- und Homosexualitätstabu ausging31 und damit implizit eine ursprüngliche Heterosexualität voraussetzen würde.32 So weit, so gut? Sind jetzt alle Klarheiten beseitigt? Dann stell ich mir heute noch kurz die eine Frage, die allen unter den Nägeln brennen dürfte:
Die Natur der Sache: Biologie
Wie ist das denn nun mit der Biologie? Die kann doch nicht einfach weg sein! Naja, der in ‚Das Unbehagen der Geschlechter‘ immer wieder zitierte Foucault sieht den „medizinischen Diskurs konstituiert„ und begreift ihn „als repressives juridisches Gesetz“.33 Hier könnten wir’s eigentlich schon bewenden lassen, oder? Nein, denn Butler selbst geht es z.B. bei Sexus „nicht um das ‚biologische Geschlecht‘ im strengen Sinne, sondern um jenen diskursiven Komplex […], der nach Foucault die Sexualität in der Moderne reguliert.“34
„Die Rückkehr zur Biologie als Grundlage einer spezifisch weiblichen Sexualität oder Bedeutung widerspricht der feministischen Prämisse, daß die Biologie kein Schicksal ist.“35 Mit der ‚Rückkehr zur Biologie‘ spielt Butler auf die aus ihrer Sicht erfundene Erzählung, der oben erwähnten ‚vorkulturellen Ursprungsgeschichte‘ an. Biologie wäre so nämlich gegeben und von der Kultur geprägt bzw. durchdrungen; das aber lehnt Butler kategorisch ab. Somit ist diese Brücke zwischen Biologie und Kultur abgebrochen. Butler hinterfragt auch, ob es in Bezug auf die äußere menschliche Gestalt wirklich nur zwei Geschlechter gebe. Sie kritisiert die Wissenschaft der Biologie dahingehend, dass man in der wissenschaftlichen Arbeit grundlegend von einer binären Heterosexualität ausgehen würde. Und sie unterstellt den biomedizinischen Untersuchungen in gewisser Weise, sie seien nur Erfüllungsgehilfen für das oben beschriebene Gesetz. Zitat: „Die Aufgabe, das anatomische Geschlecht von der Geschlechtsidentität zu unterscheiden, erschwert sich erheblich, sobald wir begreifen, daß die kulturell erzeugten Bedeutungen der Geschlechtsidentität (gendered meanings) auch den Rahmen für die Ausgangshypothese und die Begründung jener biomedizinischen Untersuchungen vorgeben, die versuchen, das anatomische ‚Geschlecht‘ für uns als jeder kulturellen Bedeutung, die es erhält, vorgängig darzustellen.“36
Und nochmals Butler zum Abschuss der Biologie, wobei sie sich wiederum auf eine These von Monique Wittig bezieht: „Es gibt keinen Grund, die menschlichen Körper in das männliche und das weibliche Geschlecht aufzuteilen; außer diese Aufteilung paßt zu den ökonomischen Bedürfnissen der Heterosexualität und verleiht der Institution der Heterosexualität einen naturalisierenden Glanz.“37 Somit war’s das; die Argumentationsgrundlage ist weg. Ich kann Zitate wie das folgende aus Langmans ‚Medizinische[r] Embryologie‘ einpacken: „Aus einem weiblichen Gameten kann kein Embryo entstehen ohne die Mitwirkung eines männlichen Gameten.“38 So etwas wäre in Butlers Sicht völlig sinnlos, dieses Zitat würde in ihren Augen nur die ‚ökonomischen Bedürfnisse der Heterosexualität‘ (nach Wachstum und Vermehrung) und das ‚System der sexuellen Zwangsreproduktion‘ unterstützen. Das, Leute, würde bedeuten: Wir könnten uns dann die biologische Realität tatsächlich sparen und es würde auch bedeuten: Klappt die Langmans und Co. einfach zu und werft sie weg! Wer braucht schon (Embryologie-)Lehrbücher? Denn im Sinne von Butler stünden da ja eh nur zwangsheterosexuelle Phantastereien drin, die als Erfüllungsgehilfen für das Gesetz dienen!
Zusammenfassung
Respekt, wer bis hierhin durchgehalten und gelesen hat. Aus meiner Sicht könnte man, so wie sie das beschreibt, hinter ‚dem Gesetz‘ eigentlich die Biologie vermuten; aber das lässt Butler nicht zu. Denn das würde sonst bedeuten, dass es etwas Vor-Kulturelles gebe. Auch müsste sie damit weibliche und männliche Anlagen zugestehen. Nein, Biologie müsse in den Rahmen des Gesetzes verschoben werden. Laut Butler habe es das Gesetz (irgendwie) immer schon gegeben. Es gibt keinen ‚Urzustand‘ vor dem Gesetz und damit auch keine Biologie. Alles ist immer schon Kultur/Gesetz.
Aber wenn Butler allem den Anfang entzieht, also das „Vorher“ negiert und beseitigt, nimmt sie auch allem das „Nachher“, also das Ziel. In dem Butler uns das „Vor“ und das „Nach“ nimmt, biegt sie unsere Existenz rund. Und dann, salopp gesagt, drehen wir uns nur noch im Kreis. Spätestens unser Bauchnabel aber zeigt, dass es immer schon ein „vor“(uns) gegeben hat.
Wie dem auch sei, morgen geht’s weiter.
Quellen zuletzt aufgerufen am 23.03.2023:
1: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 21.
2: ebd., S. 64.
3: ebd. Anmerkungen und Hervorheb. d. d. Autor.
4: Butler schreibt (nochmal ausführlicher mit Hervorhebungen d. Autors): „Daß sich das Gesetz des Patriarchats als repressive, regulierende Struktur artikuliert, erfordert auch eine erneute Reflexion auf den Standpunkt der Kritik: Der feministischen Rückgriff auf eine imaginäre Vergangenheit muß sich davor hüten, daß er bei dem Versuch, den selbstverdinglichenden Behauptungen der maskulinen Macht ihren Nimbus zu nehmen, nicht seinerseits eine in politischer Hinsicht problematische Verdinglichung der Erfahrung der Frauen betreibt. Die Selbstrechtfertigung eines repressiven oder unterdrückerischen Gesetzes beruht fast immer auf einer Geschichte, die erzählt, wie es vor der Ankunft des Gesetzes war und wie das Gesetz in seiner jetzigen, notwendigen Form entstanden ist. Die Erfindung solcher Ursprünge neigt dazu, einen Stand der Dinge vor dem Gesetz zu beschreiben, der einer notwendigen, eindimensionalen, linearen Erzählung folgt, die ihren Höhepunkt in der Stiftung des Gesetzes findet und dieses damit rechtfertigt. Die Geschichte von den Ursprüngen ist also eine strategische Taktik in einer Erzählung, die die Konstituierung des Gesetzes als geschichtlich unvermeidlich erscheinen läßt, indem sie eine einzige autoritative Darstellung einer unwiderbringlich verlorenen Vergangenheit liefert.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 64); „Die feministische Theorie wurde bisweilen vom Gedanken des ‚Ursprungs‘ angezogen: einer Zeit, die vor dem liegen soll, was einige das ‚Patriarchat‘ nennen, und einen imaginären Standort bieten würde, von dem aus die Kontingenz der Geschichte der Frauenunterdrückung aufgewiesen werden könnte.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 63); „Der Versuch eine Sexualität ‚vor dem Gesetz‘ ausfindig zu machen und zu beschreiben – sei es als primäre Bisexualität oder als ideale, uneingeschränkte polymoprhe Sexualität -, beinhaltet, daß das Gesetz der Sexualität vorangeht. Als Einschränkung einer ursprünglichen Fülle untersagt dieses Gesetz bestimmte vorstrafliche sexuelle Möglichkeiten, während es andere zugleich sanktioniert.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 116, oben); „Anders formuliert: die Erzählung beansprucht nicht nur, Zugang zu einem ‚vorher‘ zu besitzen, von dem sie definitionsgemäß (aufgrund ihrer Sprachlichkeit) ausgeschlossen ist, sondern zudem findet die Beschreibung dieses ‚vorher‘ stets in der Sprache eines ’nachher‘ statt und bewirkt so ein Einsickern des Gesetzes in den Schauplatz seiner Abwesenheit.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 116, unten).
5: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 158, Hervorheb. und Anmerk. d. Autors.
6: ebd., S. 74: „Die Naturalisierung der Heterosexualität wie auch der männlichen sexuellen Aktivität sind diskursive Konstruktionen, die in diesem grundlegenden strukturalistischen Rahmen zwar überall vorausgesetzt aber nirgendwo erklärt werden.“
7: ebd., S. 56, Hervorheb. und Anmerk. d. Autors.
8: ebd., S. 27, Hervorheb. und Anmerk. d. Autors. Diskursanalyse: „Mit einer Diskursanalyse findest du heraus, wie die Gesellschaft über ein bestimmtes Thema, z. B. Bildung, spricht und wie das zur kollektiven Meinungsbildung beiträgt.Der Begriff Diskursanalyse wurde von dem Philosophen Michel Foucault geprägt, der davon ausging, dass die Bedeutung, die wir gewissen Dingen zuschreiben, unser Handeln bestimmt. Das Ziel einer Diskursanalyse ist es, mehrere Texte eines Themenbereichs auf Hinweise zu einem speziellen Diskurs zu untersuchen.“ (https://www.scribbr.de/methodik/diskursanalyse/)
9: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 205
10: siehe ebd.
11: ebd., S. 205. Hervorheb. und Anmerkungen d. Autors.
12: ebd. Hervorheb. und Anmerkungen d. Autors.
13: Butler schreibt: „Dagegen ist das Weibliche niemals die Markierung eines Subjekts, da es nicht das ‚Attribut‘ einer Geschlechtsidentität sein kann. Das Weibliche steht vielmehr für einen Mangel, den das ‚Symbolische‘ bezeichnet: ein Ensemble von differenzierten Sprachregeln, die die sexuelle Differenz erzeugen. Die männliche Sprachposition unterliegt der Individualisierung und Heterosexualisierung, wie sie die grundliegenden Verbote des symbolischen Gesetzes – d.i. das Gesetz des Vaters – erfordern. Das Inzesttabu, das den Sohn von der Mutter fernhält und dabei die Verwandschaftsbeziehungen zwischen ihnen begründet, wird als Gesetz ‚im Namen des Vaters‘ erlassen. Ähnlich fordert das Gesetz, das dem Begehren des Mädchens nach ihrer Mutter und ihrem Vater entgegentritt, daß das Mädchen das Sinnbild der Mutterschaft übernimmt und die Regeln der Verwandtschaft fortsetzt. Sowohl das männliche als auch die weibliche Position werden also durch prohibitive Gesetze begründet, die die kulturelle intelligiblen Geschlechtsidentitäten erzeugen, wenn auch nur durch die Produktion einer unbewußten Sexualität, die im Reich des Imaginären wiederkehrt.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 53, Hervorheb. d. Autors)
14: vgl. Das Unbehagen der Geschlechter S. 145: „Sexuell bestimmt sein (to be sexed) bedeutet laut Foucault einer Reihe gesellschaftlicher Regulierungen unterworfen zu sein, bzw. dem diese Regulierungen anleitenden Gesetz sowohl als Formationsprinzip des eigenen Sexus, der eigenen Geschlechtsidentität, Lüste und Begehren wie auch als hermeneutisches Prinzip der Selbstinterpretation zu unterliegen. Die Kategorie ‚Sexus‘ ist also unweigerlich regulativer Art, womit jede Analyse, die diese Kategorie zur Voraussetzung macht, diese Regulierungsstrategie unkritisch erweitert und sie als Macht/Wissenregime legitimiert.“
15: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 198, Anmerkungen d. Autors.
16: ebd., S. 63.
17: ebd., S. 65, Hervorheb. Autors.
18: ebd., S. 66, Hervorheb. Autors. Diskursformation siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Diskursanalyse: „Der Diskursanalyse geht es darüber hinaus um Diskursformationen (Strukturen, Praktiken), die sich durch die unterschiedlichsten Texte hindurchziehen können.“
19: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, vgl. S. 71.
20: Butler schreibt: „Dagegen übernimmt der männliche Homosexuelle vermutlich die Männlichkeit, weil er seine vermeintliche Weiblichkeit zu verbergen versucht, und zwar nicht vor den Anderen sondern vor sich selbst. […] Der homosexuelle Mann übt unbewußt Vergeltung an sich selbst, da er die Folgen der Kastration zugleich wünscht und fürchtet.“ (Das Unbehagen der Geschlechter, S. 86) Der Mann will seine Weibliche Teile nicht. Er verschiebt sie nach draußen. Weil er sie aber dennoch begehrt. Begehrt er jetzt das Weibliche außer sich. Die Frau. Die Frau wird für den Mann zum Undenk- bzw. Unnenbaren weil er sie nicht ist. Er ist defnitiv nicht weiblich. Er ist anders. Er kann das nicht benennen. Er hat aber, laut Butlers Gesetz, weibliche Anteile, weil er diese aber verleugnet, nicht wahrhaben will, bzw. alle dafür tut, dass die Zwangsheterosexualität auf laufen gehalten wird, verschiebt er seine Weiblichkeit auf die Frau. Er definiert sie, als das was er nicht ist und umgekehrt. Das ist Foucaultsche Denke. Butler bedient sich scheinbar wieder in seiner Werkzeugkiste.
21: Butler schreibt: „Daß das [Inzest]Verbot existiert, bedeutet ja keineswegs, daß es auch wirkt. Seine Existenz scheint eher darauf hinzudeuten, daß Inzestwünsche, Inzesthandlungen und sogar verbreitete gesellschaftliche Inzestpraktiken gerade aufgrund der erotisierenden Wirkung dieses Tabus entstehen. Daß die Inzestwünsche phantasmatischen Charakter haben, beinhaltet keineswegs, daß sie keine ‚gesellschaftlichen‘ Tatsachen sind. Die Frage ist eher, wie solche Phantasmen erzeugt und gerade infolge ihres Verbots intituiert werden. Ferner stellt sich die Frage, ob nicht gerade die gesellschaftliche Überzeugung, daß dieses Verbot effektiv ist, wie sie hier symptomatisch von Lévi-Strauss artikuliert wird, einen gesellschaftlichen Raum verschleiert und zugleich eröffnet, in dem sich die INzestpraktiken frei und ungeächtet reproduzieren können.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 73) Hier ist sie wieder bei Foucault. Der Wahnsinn ist erst sichtbar wenn man ihn defniert, bzw. wird das „gesunde“ erst sichtbar, wenn man das kranke definiert. Soll heißen, erst durch die sog. Zwangsheterosexualität wird Inzest erst definiert, sichtbar und möglich. Dass Inzest auch ohne Definierung durch Butlers ominöses Gesetz existiert, ist für sie undenkbar. Inzest als solches gibt es erst, wenn das Gesetz sagt, dass es Inzest sei. Nochmal Butler: „Das Inzesttabu unterdrückt also keine primären Anlagen, sondern bringt überhaupt erst die Unterscheidung zwischen ‚primären‘ und ‚sekundären‘ Anlagen hervor, um die Unterscheidung zwischen einer legitimen Heterosexualität und einer illigitimen Homosexualität zu formulieren und zu reproduzieren.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 114) „Das Inzesttabu untersagt also nicht nur die sexuelle Vereinigung unter den Angehörigen desselben Verwandtschaftszweigs, sondern schließt überdies ein Tabu gegen die Homosexualität ein.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 115) „Obwohl Freud nicht ausdrücklich so argumentiert, zeigt sich daß das Tabu gegen die Homosexualität dem heterosexuellen Inzesttabu vorangehen muß. Das Tabu gegen die Homosexualität schafft erst die ‚Anlagen‘, die den Ödipuskomplex ermöglichen.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 102) „Der Ödipuskomplex setzt das kulturelle Inzesttabu ein, führt es durch und bringt damit letztlich eine diskrete, geschlechtlich bestimmte Identifizierung und die entsprechende Anlage hervor.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 115)
22: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 74.
23: ebd.
24: ebd., S. 140f., Hervorheb. d. Autors.
25: ebd., S. 165, Hervorheb. d. Autors.
26: ebd., S. 138.
27: ebd., S. 164, Hervorheb. d. Autors.
28: ebd., S. 75, Anmerk. d. Autors.
29: ebd., S. 76
30: Der von Sigmund Freud im (Ödipuskomplex) entwickelt Ansatz beschreibt die kindliche, sich entwickelnde Sexualität. Dabei zielt der Junge darauf ab, die Mutter, also den gegengeschlechtlichen Elternteil, in seinen alleinigen Besitz zu bringen, und den gleichgeschlechtlichen Elternteil, den Vater, zu beseitigen. Freud nannte diese Phase „Ödipuskomplex“, weil er sich auf den Ödipus Mythos bezog. Der bekannte griechische Dramatiker Sophokles überlieferte die Tragödie. Ödipus war der Sohn von Laios, dem König von Theben, und Iokaste. Ein Orakel prophezeite Laios, dass, wenn ihnen ein Sohn geboren würde, dieser ihn töten und seine Mutter Iokaste zur Frau nehmen würde. Iokaste beschließt daraufhin, Ödipus zu töten, um so der Prophetie zu entrinnen. Sie übergibt den Knaben einem Hirten, der ihn umbringen soll, dieser jedoch hat Mitleid mit dem Jungen. So gelangt Ödipus zum König von Korinth, der ihn an Kindes statt aufnimmt und erzieht. Das Orakel von Delphi erinnert Ödipus an die Prophetie, er würde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten, woraufhin dieser aus Unwissenheit um seine wahre Herkunft seinen angeblichen Vater (den König von Korinth) verlässt und vor der Erfüllung der Prophetie fliehen will. Auf dem Rückweg von Delphi gerät er mit einem alten Mann in einen heftigen Streit und Ödipus erschlägt diesen, ohne zu wissen, dass dies sein leiblicher Vater war. In Theben angekommen befreit er die Stadt aus der Hand der Sphinx, worauf die Belohnung der Heirat mit der Witwe des Königs, seiner Mutter, stand. So erfüllt sich die Prophetie und Ödipus begeht den Vatermord und Inzest mit seiner Mutter. Im Ödipuskomplex selber entdeckt der Junge laut Freud die männlichen Interessen seines Vaters an dessen Frau und will diesen ebenfalls nachgehen. Hierbei kollidiert er aber mit des Vaters Verhaltensweisen, der ihm, wie Freud herausstellte, den Zugang zur Mutter verwehrt. Gleiches gilt analog für das weibliche Geschlecht. Worin begründet sich nun die Nützlichkeit dieses Konfliktes? Das Kind durchlebt in dieser Phase den Ausschluss aus der sexuellen Beziehung der Eltern und macht damit eine nahezu traumatische Erkenntnis in diesem Beziehungsbereich. Das bedeutet aber im besten Fall, dass das Kind seine eigenen sexuellen Wünsche gegenüber einem oder sogar beiden Eltern nach und nach aufgibt, während die Eltern-Kind-Beziehung auf einer anderen Ebene, die für das Kind mehr Autonomie bedeutet, weiter bestehen kann. Das Kind erlebt durch den Ödipuskomplex bei einer guten familiären Voraussetzung, dass die Liebe, welche trotz seiner widerstreitenden Gefühle seinen Eltern gegenüber, und trotz der zum Teil sexuell-inzestuösen Neigung der an die Eltern gerichteten Beziehungswünsche an sie (ebd.), von beiden Eltern erwidert und keineswegs abgewiesen oder zerstört wird. Der Vater vermittelt innerhalb der ‚ödipalen Dreiecksbeziehung‘ eher die Position eines nahen Fremden. Außerdem vermittelt er damit gleichzeitig einen wichtig Zugang zu wichtigen Erfahrungen von eigen- und fremd-Erleben.
31: Siehe Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 101 und vgl. Fußnote 21 bzw: „In Freuds These der primären Bisexualität kommt also die Homosexualität nicht vor, sondern nur die Anziehung der Gegensätze.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 98) Vgl.: „Welche Strategien und Quellen der Subversion ergeben sich aus den bisher betrachteten psychoanalytischen Ansätzen? Offenbar ist der Rückgriff auf das Unbewußte als Quelle der Subversion nur dann sinnvoll, wenn das Gesetz des Vaters als rigider universeller Determinismus verstanden wird, der der ‚Identität‘ einen starren und phantasmatischen Charakter verleiht. Selbst wenn wir diesen phantasmatischen Zug der Identität akzeptieren, gibt es keinen Grund anzunehmen, daß das Gesetz, das die Bedingungen dieser Phantasie festlegt, gegen jede geschichtliche Veränderlichkeit und Möglichkeit abgedichtet ist. Dem fundierenden Gesetz des Symbolischen, das die Identität vorab festlegt, steht die Geschichte der konstitutiven Identifizierungen gegenüber, die ohne die Voraussetzung eines feststehenden begründenden Gesetzes auskommt. Auch wenn die ‚Universalität‘ des väterlichen Gesetzes in anthropologischen Kreisen bereits angefochten wird, sollten wir bedenken, daß die Bedeutung, die das Gesetz in irgendeinem gegebenen geschichtlichen Kontext stützt, weniger eindeutig und im deterministischen Sinne wirksam ist, als die Lacansche Darstellung anzuerkennen scheint.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S. 106, Hervorheb. d. Autors).
32: vgl. ebd. S. 93–104
33: ebd. S. 152, Hervorheb. a. Autors; Foucualt sieht in „den Kategorien ‚Sexus‘ und ‚Identität‘ allgemein […] Effekte und Instrumente eines regulierenden Sexualregimes.“ (Das Unbehagen der Geschlechter S.152); Juridisch meint die moralisch-sittliche Herleitung des Rechtes und seine Anerkennung und Befolgung durch den Einzelmenschen betreffend. (https://de.wikipedia.org/wiki/Juridisch)
34: Siehe Anmerkung d. Übersetzers in Das Unbehagen der Geschlechter S. 15: „‚Geschlechtsidentität‘ steht hier für ‚gender‘, während ’sex‘ im allgemeinen mit ‚Geschlecht‘ in Anspieleung auf die Begriffsbestimmung bei Michel Foucault als ‚Sexus‘ wiedergegeben wird. […] Der Begriff ’sex‘ bezeichnet das biologische Geschlecht, während gender auf die kulturell und gesellschaftlich bedingten Identitätskonzepte verweist, die dem ‚Männlichen‘ und dem ‚Weiblichen‘ zugeordnet werden. […] Ebenso wurde bezüglich Butlers Kritik und Darstellung von Foucault sex mit ‚Sexus‘ übersetzt, da es hier nicht um das ‚biologische Geschlecht‘ im strengen Sinne, sondern um jenen diskursiven Komplex geht, der nach Foucault die Sexualität in der Moderne reguliert.“
35: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 56
36: ebd., S. 163; siehe u.a. ebd. S. 159–165, Hervorheb. d. Autors.
37: ebd., S. 167f.
38: Jan Langmann, Medizinische Embryologie, 1985, 7. Auflage, Thieme, S. 29
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Frau
Hut ab ! Was du dir für ein Zeug durchliest.
Judith Butler wirkt sehr buschikos. Laut Wikipedia lebt sie zusammen mit einer Frau.
Sie hätte mit ihr einen gemeinsamen Sohn (wie auch immer das gehen soll).
Wenn sie von einem heterosexuellen Zwangsbild spricht,
arbeitet AUCH SIE mit der „Wirkmächtigkeit von Diskursen“ und der „performativen Kraft von Sprache“ .
Sie ist Teil einer Minderheit (noch) und erklärt die heterosexuell lebenden Menschen als manipuliert.
Die Zweigeschlechtlichkeit als ein biologisches Faktum abzulehnen ist eine Leugnung der
Menschheitsgeschichte und der Wissenschaft. Konstruiert Butler hier einen neuen Mythos um ihr eigenes Leben zu
rechtfertigen? Warum lehnt sie Inzest nicht ab? Was hat sie selbst erlebt? Das was sie ablehnt (Hass, Diskriminierung)
gibt sie weiter im ganz großen Stil. Sie hinterfragt und kritisiert den größten Teil der Menschheit.
Will, wenn sie es könnte, die Identität der Frauen und Männer zerstören. Wäre das alles eine befreiende gute Idee,
warum dann diese Zwangsmaßnahmen? Warum eine Diktatur der Perversion?