Wir gönnen uns nur noch eine kleine Zusammenfassung und Einordnung der Reihe: Also sprach Judith Butler: Geschlecht für Alle und Keinen.
Dadurch, dass das Buch bereits 1991 auf dem deutschen Büchertisch lag, haben sich inzwischen etliche Köpfe mit den Gedanken von Judith Butler beschäftigt. Wir sind nicht die Ersten und werden auch nicht die Letzten sein. Aber vielleicht konnten bzw. können wir noch einen kleinen Beitrag zur Debatte beisteuern. Hier also noch ein paar abschließende Gedanken.
Allgemeines zu das Unbehagen der Geschlechter
Butler versuchte dem von entdeckten Gesetz zu entrinnen, indem sie Dinge verdeutlichen und ins Rampenlicht stellen wollte, die dem Gesetz eigentlich zuwiderlaufen. Dinge, die es in seiner aktuellen Form in Frage stellen und in eben diesem Gesetz so nicht vorgesehen waren. Homo- bzw. Bisexualität wären Beispiele dafür. Oder die Travestie, in der Männer Frauen spielen. (Travestie hatte Butler überhaupt erst auf die Idee des parodierens gebracht.1) Eine Mischung aus allem fand sie irgendwie auch in Foucaults Herculine2. Sie schrieb: Foucaults „Aneignung von Herculine ist zwar suspekt, doch beinhaltet seine Analyse die interessante These, daß die sexuelle Heterogenität (die durch die naturalisierte ‚Hetero’sexualität paradoxerweise ausgeschlossen werden soll) eine Kritik an der Metaphysik der Substanz implizieert, wie sie die Identitätskategorien des Geschlechts (sex) prägt.“3 Dies hat u.a. sogar die Einführung des ‚Dritten Geschlechts‚ bewirkt.
Judith Butler wollte auf parodistische Art das System der, wie sie sagte, „Zwangsheterosexualität“ sprengen. Sie wollte diesem ’starren‘ Gesetz mit Humor begegnen. In ihrer Herangehensweise hat sie die Biologie dabei gleich völlig ausgeklammert. Ob gewollt oder ungewollt, sei dahin gestellt. Aber dieser Ansatz wäre allein schon Parodie und Humoristik genug, oder? Die Strategie jedoch läuft. Immer mehr Drag-Queens gehen in Kindergärten und ziehen ihre Travestieshows vor dem jungen Publikum ab. In knapper Kleidung versteht sich. Natürlich nur zu Aufklärungszwecken versteht sich. Und, seit Butler wissen wir, um das zwangsheterosexuelle System zu stürzen! Versteht sich!?
Auffällig beim lesen des Buchs ist, wie viel Zweifel sie allein durch ihre Wortwahl an der Heterosexualität und Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen sät. Sie nimmt immer wieder Dinge für gegeben, die es nicht sind und stellt Dinge in Frage, die eigentlich bisher immer gegeben waren. Dabei verwundert es nicht, wenn Butler schreibt, dass die glaubwürdigen Träger einer Geschlechtsidentität „gründlich und radikal unglaubwürdig gemacht werden“4 können.
Zweifel an sich sind vollkommen normal. Jeder zweifelt. Oft zweifeln wir daran, wer wir wirklich sind. Denn, wie Butler richtig schreibt, ist „[d]ie Geschlechtsidentität […] ein komplexer Sachverhalt, dessem Totalität ständig aufgeschoben ist“5. Jetzt aber zu sagen, dass wir niemals eine Antwort darauf finden könnten, würde den Zweifel zum verzweifeln führen.
Dabei geht es aus unserer Sicht gar nicht um ein unbestimmtes ‚Frau-Sein‘, in dass sich alle einzufügen hätten. Auch geht es nicht darum eine Frau (unter vielen) zu sein, die in der Masse verschwindet. Es geht vielmehr draum grundlegend individiduell aber bestimmt ‚die Frau‘ zu sein. Die eine bestimmte Frau, die man werden kann, die man ist, deren individuelle Anlagen man als Gabe mit auf den Lebensweg bekommen hat. Die eine Frau, die niemand anders ist und sein kann. Das gilt sowohl in die eine als auch die andere Richtung. Die Frau kann niemand anders sein und niemand anders kann die Frau sein.
Ein Hoch auf bestimmte, Substantive beschreibende, Artikel.
Judith Butlers Religion
Butlers Lösung für das vermeintliches Dilemma, ihr Versuch uns von der Herrschaft des Gesetzes zu befreien ist, (neben oder vielleicht sogar durch die Parodie), soll wirklich darin bestehen, dass sie allem die Substanz nimmt und es quasi im Nichts auflöst? Es gibt keine Täter, sondern nur noch Tuende. Es gibt nur noch Handlungen, nur noch Attribute. Keine Substantive mehr. Sie strebt die völlige Nicht-Identität, das Auflösen, Infragestellen und unglaubwürdig machen alles Bisherigen an. Oder anders formuliert: Butler strebt es in gewisserweiße an, uns aus dem angeblich immer drehenden Lebensrad, das durch die Heterosexualität und dem Gesetz ständig neu angetrieben wird, auszubrechen: ins Nichts. Mich, die Person hinter der Tat (der Performanz), gebe es dann nicht (mehr). Irgendwie erinnert mich das an irgend eine Religion…
Vielleicht liegt es an ihren Vordenkern, auf denen ihr Gedankengebäude fußt. Butler bediente sich, wie wir gesehen haben, häufig in Michel Foucaults Werkzeugkiste. Der wiederum war ein großer Verehrer Nietzsches. Friedrich Nietzsche wiederum war stark von Arthur Schopenhauers Philosophie beeinflusst. Der grummelige und pessimistische Arthur fand seinerseits Trost in den Upanishaden, den philosophischen Schriften des Hinduismus.
Natürlich hat der eine die Gedanken des Anderen nicht einfach nur kopiert. Man hat sie weitergedacht, vertieft oder hat sie als Ufer genommen, um sich davon hinaus aufs weite Meer, hinaus zu neuen philosophischen Abenteuern, abzustoßen. Aber fest steht, dass es immer einen ‚Vor‘-Denker gab: ein philosophisches Ufer, an dem man spielte. Die Gedanken Butler’s müssen irgendwo ihren Anfang gefunden haben und sind nicht einfach vom Himmel gefallen. Sie selbst setzt den Anfang eines neue Feminismus, der sich mittlerweile selbst in eigenen Gesetzen artikuliert, herrschen will und eine feministische Außenpolitik formuliert.
Judith Butler nimmt uns in ‚Das Unbehagen der Geschlechter‘ die Ausgangsbasis. Sie negiert das „vor“ (Siehe Ursprungsgeschichte) und damit auch das „nach“. Somit biegt sie unser Leben zur „ewigen Wiederkunft„, sie biegt unser Leben zu einer „subversiven Wiederholung“6 um. Und dann, salopp gesagt, drehen wir uns nur noch im Kreis. Aber es gibt immer einen Anfang. Es gibt immer mindestens einen Gedanken, das eine Wort, das am Anfang steht und auf das am Ende alle anderen Gedanken aufbauen. Den einen Stein des Anstoßes von dem sich viele abstoßen. Ein Wort an dem sich alle anderen Wörter in positiver oder negativer weise orientieren.
„Gott ist tot“ – F. Nietzsche
Das Christentum bietet uns im Johannes Evangelium einen Hinweis. In den ersten Versen heißt es dort: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. […] Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“7
Dieses Wort bzw. Gott war auch der Ausgangspunkt von Friedrich Nietzsches Denken gewesen. Nur kam Nietzsche zu in seinem Werk ‚die fröhliche Wissenschaft‘ zu dem Schluss, dass Gott tot sei und wir ihn getötet hätten: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“8 Damit ist, laut Nietzsche, „das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, […] unter unseren Messern verblutet“9. Dieser Gott, wird in der heiligen Schrift des Christentums als der Gott bezeichnet, der gestern, heute und in alle Ewigkeit ist. Damit ist er quasi der Ewig-Seiende. In „Götzen-Dämmerung“ schrieb Nietzsche noch grübelnd: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben […].“10 Nietzsche versuchte philosphisch also den absoluten Kern, den Anker des Seins zu kappen und jegliche Wurzel aus unserem Da-Sein zu reißen.
Butler ihrerseits verneint, dass es eine Substanz, ein „Sein“ gebe und gesteht uns lediglich ein „Werden“ zu. Anstatt ‚Werde der du bist‘ ist jetzt vermutlich das Credo ‚Sei der du wirst!‘ .“ Und nun: „Wohin bewegen wir uns? […] Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?“11
Natürlich darf es laut Nietzsche hinter dem Tun kein Seiendes geben. Das würde sonst prinzipiell beweisen, dass es einen Schöpfer gebe, der handelt, wirkt und schafft. Einen Geber hinter der (Lebens)Gabe. Die Handlungen sind da. Wir alle können sie sehen. Aber es kann und darf kein Seiendes dahinter geben. Hier hat er den Tod Gottes scheinbar bis auf den Grund zu Ende gedacht.
Nietzsche legte außerdem mit seinem Propheten Zarathustra die weitere Marschrichtung, ein neues Schöpfungsprinzip vor, damit die Welt auch ohne Gott ihrer Sinnlosigkeit entrinnen und zu einer neuen Bedeutung finden kann. Er nennt es den „Willen zu Macht“. Er schreibt: „Und wer ein Schöpfer sein muß im Guten und Bösen [Gott, der vorher Gut und Böse definiert ist für ihn gestorben, jetzt müssen wir selbst es definieren]: wahrlich, der muß ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen. […] Und mag doch alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen – kann! Manches Haus gibt es noch zu bauen! – Also sprach Zarathustra.„12
Butler würde wohl vielleicht schreiben: Und wer ein Schöpfer sein muß seines eigenen Da-Seins, der muß ein Vernichter erst sein und die Zwangsheterosexualität zerbrechen. Und mag doch alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen kann! Manche Geschlechtsidentität gibt es noch zu erfinden.
Der Ausweg
Max Horkheimer (ehemaliger Chef der Frankfurter Schule) sagte im Interview mit Helmut Gumnior (1970), dass man „das Theologische abschaffen“ wird. „Damit verschwindet das, was wir ‚Sinn‘ nennen aus der Welt. Zwar wird große Geschäftigkeit herrschen, aber eigentlich sinnlose, also langweilige. Und eines Tages wird man auch Philosophie als eine Kinderangelegenheit der Menschen betrachten. Vielleicht schon in naher Zukunft wird man von dem, was wir mit allem Ernst in diesem Gespräch getan haben, über die Beziehungen von Transzendentem und Relativem spekulieren, sagen, es sei läppisch. Ernsthafte Philosophie geht zu Ende.“13
Die ernsthafte Zugeneigtheit (Philo) zur Wahrheit (Sophie) bzw. die ernsthafte Suche nach ihr geht zu Ende? Zumindest gibt es ‚die Wahrheit‘ heute angeblich nicht mehr. „Das muss jeder für sich selbst entscheiden!“ So auch bei Butler. Welches Geschlecht man sei, solle doch jeder selbst entscheiden.
Am Ende ist Butlers Gedankengebäude aber eigentlich gar nicht so fluide und dynamisch wie sie es fordert. Ein paar unverrückbare Stützpfeiler braucht sie dann doch. Die Kategorie „Frau“ z.B. solle es nicht mehr geben und Heterosexualität solle niemals vorausgesetzt werden. Basta. Das Subjekt, das Individuum bzw. den ‚Täter hinter der Tat‘ gibt es auch nicht (mehr). Es gibt keine Metaphysik der Substanz. Es gibt im Grunde genommen Nichts. Und davon ziemlich viel. Den leeren Raum, der uns anhaucht um mit unserer Performanz gefüllt zu werden.
Es ist ein bisschen so ähnlich wie das Problem, das der Relativismus hat, wenn er sagt, dass alles relativ sei. Dann stimmt das sehr wohl: bis auf diesen einen Satz, der für ‚alles‘ gelten soll und damit nicht mehr relativ ist, der damit den Relativismus ad absurdum führt. In der Tradition von Nietzsche und Foucault will Butler alles abschaffen, sie will dass alles dynamisch, fluide, niemals starr oder fest sei. Butler will alles Bisherige subvertieren. Dass aber das Ewig-Seiende, Gott, tot ist, das ist für sie scheinbar so sicher wie das Amen in der Kirche!
Der Gedanke mag jetzt ein bisschen kühn sein. Aber was, wenn in Wahrheit Nietzsche tot ist?
Quellen:
1: vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 9 bzw. 201f.
2: Siehe ebd., S 47.
3: ebd.
4: ebd., S. 208.
5: ebd., S. 36.
6. ebd., S. 216.
7: Die Bibel, Johannes Evangelium, Kapitel 1, Vers 1.
8: Friedrich Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, 7. Auflage, Stuttgart, Kröner Verlag, 1986, Drittes Buch – 125, S. 140-141
9: ebd.
10: https://beruhmte-zitate.de/zitate/123956-friedrich-nietzsche-ich-furchte-wir-werden-gott-nicht-los-weil-wir-n/
11: Friedrich Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, 7. Auflage, Stuttgart, Kröner Verlag, 1986, Drittes Buch – 125, S. 140-141
12: Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Nikol Verlag, 11. Auflage, 2022, S. 112f.; bzw. https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU2-0517-03.pdf
13: Max Horkheimer, in „Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen – Ein Interview mit Kommentar von Helmut Gumnior“; 9.-16. Tausend Mai
1971; Furche Verlag; S. 88
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