Wir haben ja schon ein paar Mal über geschlechtsselektive Abtreibung geschrieben. Eine Praxis, bei der die Embryonen aufgrund ihres Geschlechts, meist ist es das weibliche, gezielt abgetrieben werden. Aber was passiert mit dieser Praxis wenn das Geschlecht erst bei der Geburt „zugewiesen“ wird?
Die Gendertheorie à la Judith Butler
Judith Butler gilt als eine der Gründerfiguren der modern Gendertheorie. Butler sagt, dass Gendertheoretiker*innen die Praxis der Geschlechtszuschreibung bei der Geburt ablehnen.“1 Zum besseren Verständnis, hier mal ein paar Zitate von ihr1:
„‚Sex‘ [als das biologische Geschlecht] wird dabei nicht die Existenz aberkannt, jedoch wird dessen Bedeutung hinterfragt: die Zuordnung zum weiblichen ‚biologischen‘ Geschlecht bei der Geburt bestimmt nicht, was für ein Leben eine Frau führen wird oder was ‚Frausein‘ bedeutet. In der Realität werden viele trans Menschen bei der Geburt einem Geschlecht zugeordnet und beanspruchen im Verlauf des Lebens ein anderes. In der Logik Beauvoirs existentialistischer Darstellung sozialer Konstruktion kann also ein Mensch als Frau geboren werden und zum Mann werden. […]
Bei der Bestimmung des biologischen Geschlechts eines Kindes spielen demnach medizinische, familiäre und rechtliche Autoritäten eine bedeutende Rolle. Dadurch wird Geschlecht nicht mehr länger als eine biologische Gegebenheit betrachtet, obschon es teilweise biologisch determiniert wird. Doch welcher Referenzrahmen ist relevant für diese Bestimmung?
Wir werden einem Geschlecht zugewiesen und danach so behandelt, wie es den Erwartungen an das Leben als das eine oder andere Geschlecht entspricht.„1
Wo ist das Problem?
Butler schreibt in dem zitierten Aufsatz ebenfalls, dass es sich bei der Möglichkeit zur Abtreibung um eine Form der Freiheit handelt.2 Nun, wenn dem so ist, dann haben in manchen Ländern viele Familien von dieser Freiheit Gebrauch gemacht und dabei haben sie gezielt weibliche Föten abgetrieben.
Aber gibt es überhaupt weibliche Föten, wenn doch das Geschlecht erst bei der Geburt „zugewiesen“ wird? Die WHO3 und die UNFPA4 bspw. fordern ein Ende der geschlechtsselektiven Abtreibung. Aber was ist „geschlechtsselektive Abtreibung“ vor dem Hintergund der Gendertheorie wenn das biologisch feststellbare Geschlecht gar nicht mehr relevant ist? Was wird bei einer geschlechtsselektiven Abtreibung abgetrieben, wenn es den Begriff Geschlecht erst Wochen später, bei der Geburt, gibt?
Versteht ihr worauf wir hinaus wollen? Wenn das biologische Geschlecht nicht mehr zählt, wer hat dann noch das Recht geschlechtsselektive Abtreibung zu verurteilen? Dann ist es einfach eine Abtreibung. Und laut Butler hat jede/r die Freiheit dazu. Wie aber will sie dann die kleinen weiblichen Embryonen schützen? Schaut hier der gegenderte Feminismus einfach weg?
Übrigens, das Geschlecht steht schon seit der Befruchtung fest.5 Und Jan Langman fügt in „Medizinische Embryologie“ hinzu, dass aus „einem weiblichen Gameten [Geschlechtszelle] […] kein Embryo […] ohne die Mitwirkung eines männlichen Gameten“ entstehen kann.6 Aber das schrieb er bereits 1985. In Zeiten von Gender Mainstream müsste das doch längst überholt sein.
Quellen: Zuletzt aufgerufen am 28.11.2022:
1: Judith Butler; Warum sich die Angriffe auf «Gender» gegen die politische Freiheit richten; 2019; auf https://www.gendercampus.ch/de/blog/post/warum-sich-die-angriffe-auf-gender-gegen-die-politische-freiheit-richten; Hervorheb und Verlinkungen des Autors;
2: ebd.; „Ginge es nach dem Papst und vielen Evangelikalen, würden jene, die eine Abtreibung vornehmen möchten, dieser Freiheit beraubt.“
3: https://www.ohchr.org/Documents/Issues/Women/GenderAndEquality/PreventingGenderBiasedSexSelection.pdf
4: https://www.unfpa.org/sites/default/files/resource-pdf/factsheet_china.pdf
5: https://youngandfree-kaleb.de/alles-geklaert-kumpel/
6: Jan Langmann; Medizinische Embryologie; 1985; 7. Auflage; Thieme; S. 29; Unterstreichung von uns
Bilder: Titelbild; Mann_grübelt; Baby
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