Nun ist es also soweit, liebe „Pille“, du wirst 60 Jahre alt.
Wer hätte das gedacht. Heute kennt dich in der westlichen Welt fast jeder.
In den vergangenen 60 Jahren haben dich mehr Frauen geschluckt als
jedes andere von Ärzten verordnete Medikament auf der Welt! Respekt.
Dabei bist du eigentlich gar kein Medikament in dem Sinne.
Deine Konsumentinnen nehmen dich nicht zur Heilung oder Vorbeugung einer Krankheit.
In der Regel sind sie völlig gesund. Jemand sagte mal über dich, dass du das erste Medikament
seist, das ausschließlich zu sozialen und nicht therapeutischen Zwecken entwickelt wurde.
Deine Mütter haben damals deiner Geburt entgegen gefiebert. Die eine, Margaret Sanger,
eine glühende Verfechterin der Geburtenkontrolle, Eugenik und Gründerin
der IPPF und über ein paar Ecken auch von Pro Familia. Und die andere,
Katharine McCormick, die Schwiegertochter dessen,
der den mechanischen Mähdrescher erfand, somit eine äußerst reiche Frau,
die ebenfalls ein großes Interesse für Geburtenkontrolle hegte.
Deine beiden Mütter wollten damals ein Verhütungsmittel, das preisgünstig und einfach anzuwenden
ist. Eins, das auf einer Ebene mit Aspirin steht. Große Erwartungen hatten deine Mütter damals schon an dich…
Das eine hemmt Kopfschmerzen und das andere die Schwangerschaft bzw. die Einnistung der
befruchteten Eizelle. Naja, is ja fast dasselbe.
Deine Väter waren Wissenschaftler, die eigentlich kein Verhütungsmittel suchten.
Das sprang bei deren Forschungen irgendwie mit heraus. Und deine Mütter
machten sich dieses und deine Väter Russel Marker, Carl Djerassi, Frank B. Colton
und Gregory Pincus, zu nutze.
Du warst damals noch so klein.
Und du warst das erste Verhütungsmittel, das man einfach in den Mund stecken konnte.
Du hattest nichts, wie Kondome und Spiralen, mit Genitalien zu tun.
Du hattest wenn man so will eigentlich gar nichts mit Sex zu tun.
So wie Aspirin. Und du warst halt einfach du selbst.
Zu deinen Gratulanten zählen heute:
Unzählige Menschen jeden Alters, die, seit es dich gibt
ihre Sexualität ausleben können wie sie wollen.
Vor allem die Männer danken es dir.
Müssen sie doch nun keine Rücksicht mehr
auf die Frauen und ihre Perioden nehmen.
Du hast die Frauen in die Bedenkenlosikgeit geführt
und sie für immer verfügbar gemacht.
Gratulation.
Bei deiner Geburt hatten viele Bedenken. Was gab es da nicht für Aufschreie.
Du würdest die sexuelle Moral völlig zerstören und Promiskuität befeuern.
Dabei hast du keineswegs Promiskuität gewollt. Du hast nur ein kleine
Verhaltensänderung der Sexualität hervorgerufen, welche man als Zugewinn
von Freiheit sehen könnte. Und weil heute dein Geburtstag ist, sprechen
wir nicht davon, dass diese Veränderung eine Verminderung der Geburten
(sog. Pillenknick) und eine drastische Erhöhung der Sexualpartner, bewirkte.
Das nennt man nicht Promiskuität. Nicht zum Geburtstag.
Außerdem würden wir heute nie davon sprechen, dass du als
erstes Geburtstagsgeschenk, quasi den Tod der erotischen Liebe serviert
und damit Romeo und Julia zum Museumsstück gemacht hast.
Das würden wir nie sagen. Max Horkheimer hat’s ja schon.
Du hast in gewisser Weise die prickelnde Sexualität gekillt, indem du ihr
das Risiko schwanger zu werden abnahmst. Alles Pille Palle.
Ebenfalls unangebracht wäre es, mit dir an deinem Geburtstag
über Geschlechtskrankheiten zu reden. Das macht man nicht.
Aber mal ehrlich, überall wo du auftauchst,
schnellen die Zahlen in die Höhe. Deine Geburt
und dein heranwachsen hat uns im Kampf gegen verschiedene
Geschlechtskrankheiten um mind. ein Jahrzehnt zurückgeworfen.
Wie machst du das nur?
Manche deiner Party-Gäste sind heute sehr erfreut.
Wie gesagt, viele Männer grinsen freudig,
Viele Geburtenkontrolleure sind hoch zufrieden, und
Pharmakonzerne kommen gleich in Badehosen auf einen Sprung
in den Moneten-Pool, den du ihnen gefüllt hast.
Manche aber sind eher bedrückt. Nicht so richtig sie selbst.
Vor allem, die die dich einnehmen. Ihre Gefühle sind flacher,
ihre Lust nicht so feurig und ihr Geruchssinn führt sie mit deiner
Hilfe öfters zum falschen Partner. Manche von ihnen kämpfen gerade mit
Depressionen, Infektionen, Thrombosen, Embolien und manche mit dem Tod.
Die crashen irgendwie deine Feier. Liebe Pille. Kümmert dich das gar nicht?
Wirst du denn in deiner „das Buffet ist eröffnet“ Rede über sowas sprechen?
Wirst du weiterhin verschweigen, dass du eine frühabtreibende Wirkung hast?
Naja, wir wollen dir nicht so viele Vorschläge machen. Du hast genug Lebenserfahrung.
Wann denkst du eigentlich daran aufzuhören, dich mal zur Ruhe zu setzen?
Es gibt nämlich gesündere, bewusstere Verhütungsmethoden als dich.
Methoden, die das Leben, Frauen, Männer und Sex lieben.
Hast du schon von natürlicher Familienplanung gehört?
Nein? Dann wissen wir ja was wir dir zum Geburtstag schenken.
In diesem Sinne. Mach nicht mehr so lange liebe Pille.
Hier unsere, ein klein wenig zu lang geratene, Geburtstagskarte.
Photo by Benedikt Geyer on Unsplash
Photo by Reproductive Health Supplies Coalition on Unsplash
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https://www.jahlf.org/wp-content/uploads/2018/05/idea-doku-2010-tut-wirklichgut-.-1.pdf
eine Betroffene
Am 18. August 1960 wurde in den USA das Arzneimittel Enovid,
das bereits seit 1957 als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden auf dem Markt war,
offiziell als Verhütungsmittel zugelassen.
Ein Jahr später folgte die Markteinführung in Deutschland – zunächst allerdings nur für verheiratete Frauen,
die bereits Kinder hatten.
Die Einführung der Antibabypille markierte insbesondere für Frauen den Beginn eines neuen Zeitalters.
Sexualität und Fortpflanzung waren aufgrund der nun möglichen zuverlässigen Empfängnisverhütung
nicht mehr zwingend miteinander verknüpft, und die Selbstbestimmungsmöglichkeiten wuchsen.
(Quelle: pharmazeutische-zeitung)
Die Kritiker von damals hatten alle Recht. Die Moral ging flöten. Den „Ehebund fürs ganze Leben“,
Treue und Verlässlichkeit erklärten die Selbstbestimmten als mittelalterlich und hinterwäldlerisch.
Das daraus folgende Elend sehen wir heute überall.