Vor Kurzem hatte doch plötzlich meine lokale Tageszeitung1, nachdem sie das Wort Studie und ein Zitat von Martin Heidegger in einem Beitrag vereinte, meine vollste Aufmerksamkeit. Überschrieben war alles mit „Wie Langweilig“.2
Titel der Studie wiederum war „Fast-Forward to Boredom: How Switching Behavior on Digital Media Makes People More Bored“. Alles klar? Zu deutsch: „Vorspulen in die Langeweile: Wie das Umschaltverhalten in Digitalen Medien die Menschen langweiliger macht.“3
Interessant, oder? Kennt ihr diesen Sog nicht auch? Die Langeweile überfällt einen, aus dem Hinterhalt oder sich ankündigend ist völlig egal, und dann klebt das Smartphone schon in der Hand. Ablenkung muss her. Jetzt! Der Daume fliegt nur so hoch und runter. Shorts, TikTok, Insta. Hauptsache es flimmert irgendwas. Und im Kopf rauschts so schön. Langeweile? Ja, die ist nur kurz auf Toilette, kommt aber gleich wieder.
Die Forscher aus Toronto haben ein interessantes Experiment gemacht. 1223 Teilnehmer, alles Hochschulstudenten wurden in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe musste(!) ein (quälend langes) zehnminütiges Youtube-Video anschauen, ohne es zu pausieren oder skippen zu können. Eine andere Gruppe durfte zwischen sieben fünfminütigen Videos nach Lust und Laune hin und her switchen. Ratet mal wem während des Experiments langweiliger war.
Richtig. Die letztere Gruppe! Die, die switchen durften empfanden überraschenderweise sehr bald ein Gefühl der Lustlosigkeit, wohingegen es den Teilnehmern der Ersten weniger langweilig war und sie ihrerseits ein Gefühl der Zufriedenheit spürten. Sie fühlten sogar eine gewisse Sinnhaftigkeit darüber, dass sie dran geblieben waren. Krass!
Die Studie über das „Vorspulen in die Langeweile“ kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: „Die Menschen schalten zwischen den Videos hin und her oder spulen vor, um der Langeweile zu entfliehen; in einigen Fällen führt dieses Verhalten jedoch dazu, dass sie sich noch mehr langweilen. In diesem digitalen Zeitalter, in dem das Anschauen von Videos eine wichtige Quelle der Unterhaltung ist, zeigen unsere Untersuchungen, dass es wahrscheinlich mehr Spaß macht, in die Videos einzutauchen, als als durch sie zu wischen.“4
Zurück zur Tageszeitung, die ich noch immer nicht weggeswitcht hatte. Nun kam der Philosoph Martin Heidegger ins Spiel, der in seiner Antrittsvorlesung 1929 über die Langeweile sagte, sie „sei einem schweigenden Nebel vergleichbar, der alle Dinge in eine merkwürdige Gleichgültigkeit zusammenrücke.“5 Die kanadischen Forscher stimmen ihm zu: Scheinbar führt das hin und her switchen dazu, dass der Inhalt bedeungs- bzw. sinnlos wird. Man nimmt sich nicht die Zeit, obwohl man sie dank Langeweile hätte, zu verstehen.
Zeitung beiseite. Meine Gedanken waren dann: Wenn der ständige Wechsel von Videos mein Leben noch langweiliger macht, weil sie erstens in einer merkwürdigen Gleichgültgkeit, schweigsam neblig zusammenrücken und zweitens weil dieses Verhalten mir die Zeit raubt, um wirklich tief eintauchen zu können wie verhält sich dieses Prinzip in Sexualität, Beziehungen, Treue, Sex-Positivity und sogar beim Wechsel des Geschlechts? Aber vielleicht war’s mir inzwischen auch einfach zu langweilig geworden. Skip.
Quellen:
Titelbild: https://pixabay.com/de/photos/werbung-plakat-plakatwerbung-bunt-1778716/; Frau schaut erstaunt auf Handy: https://unsplash.com/photos/woman-holding-phone-smiling-UGX2qdjdKkw?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash; Handy und Steoskop: https://unsplash.com/photos/a-smart-phone-with-a-stethoscope-on-top-of-it-SJwYvNVW1qY?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash
1 Freie Presse, Montag 14.10.2024, Artikel: „Wie langweilig!“ von Ulrich Hammerschidt.
2 ebd., Titelseite.
3 Fast-Forward to Boredom: How Switching Behavior on Digital Media Makes People More Bored, Katy Y. Y. Tam 1 and Michael Inzlicht 1, 2 1 Department of Psychology, University of Toronto Scarborough 2 Rotman School of Management, University of Toronto, https://www.apa.org/pubs/journals/releases/xge-xge0001639.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.10.2024.
4 ebd., S. 15, übersetzt mit DeepL.com
5 Martin Heidegger in „Was ist Metaphysik, zitiert aus https://de.wikipedia.org/wiki/Langeweile#cite_note-WIM-3, zuletzt aufgerufen am 14.10.2024
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