Ein kleines Zitat, das die Thematik „Männer und Abtreibung“, wie ich als Mann finde, sehr herausfordernd und in manchen, vielleicht sogar in sehr vielen Punkten leider sehr treffend beschreibt:
„Neben den Frauen, die glauben, sie hätten sich an einem fremden Leben vergriffen, gibt es viele, die den Eindruck haben, um einen Teil ihrer selbst gebracht worden zu sein. Darans entstehen Haßgefühle gegen den Mann, der diese Verstümmelung gebilligt oder veranlaßt hat. […] Die Männer neigen dazu, die Abtreibung auf die leichte Schulter zu nehmen. Sie betrachten sie als eines der zahlreichen Mißgeschicke, zu denen die Mißgunst der Natur die Frauen verurteilt, und ermessen nicht die Werte, um die es dabei geht. Die Frau verleugnet die Werte der Weiblichkeit, ihre Werte, in dem Augenblick, in dem die männliche Ethik sich am radikalsten widerspricht. Das ganze moralische Gebäude ihrer Zukunft wird dadurch erschüttert. ln der Tat hat man ihr seit der Kindheit eingebleut, sie sei zum Gebären geschaffen, und man singt ihr die schönsten Lieder von der Herrlichkeit der Mutterschaft.
Alle Unannehmlichkeiten des Frauseins von der Menstruation über allerhand Krankheiten bis hin zu den langweiligen Haushaltspflichten – alles findet seine Rechtfertigung in dem wunderbaren Privileg, Kinder zu gebären. Und nun auf einmal verlangt der Mann, um seine Freiheit zu bewahren, um seine Zukunft nicht zu belasten oder im Interesse seines Berufs, die Frau möge doch auf ihren Triumph als Frau verzichten. Das Kind ist keineswegs mehr ein unbezahlbarer Schatz und das Gebären keine geheiligte Funktion: die Vermehrung wird etwas Kontingentes, Ungelegenes, ein weiterer Makel der Weiblichkeit. Die monatlichen Unbilden der Menstruation erscheinen dagegen als ein Segen. Plötzlich wartet man ängstlich auf die Wiederkehr des roten Flusses, der das junge Mädchen einst in Angst und Schrecken gestürzt hatte: damals hatte man es getröstet, indem man ihm die Freuden der Mutterschaft verhieß.
Selbst wenn die Frau einer Abtreibung zustimmt oder diese gar wünscht, empfindet sie den Eingriff als ein Opfer, bei dem ihr ein Stück Weiblichkeit verlorengeht. Sie ist endgültig gezwungen, in ihrem Geschlecht einen Fluch, eine Art Gebrechen, eine Gefahr zu sehen. Infolge des Abtreibungstraumas werden manche Frauen, die diese Verleugnung auf die Spitze treiben, homosexuell. Doch im gleichen Moment, in dem der Mann die Frau auffordert, ihre fleischlichen Möglichkeiten zu opfern, damit er seinen Weg als Mann besser verfolgen kann, offenbart er die ganze Heuchelei, die sich im männlichen Moralkodex verbirgt. Die Männer verbieten die Abtreibung im allgemeinen, akzeptieren sie aber im einzelnen als eine bequeme Lösung. Sie können es sich leisten, sich mit leichtfertigem Zynismus zu widersprechen, aber die Frau spürt diese Widersprüche in ihrem verwundeten Fleisch. Meistens ist sie zu schüchtern, sich offen gegen die männliche Unaufrichtigkeit aufzulehnen. Obwohl sie sich für das Opfer einer Ungerechtigkeit hält, die sie wider Willen zur Verbrecherin stempelt, fühlt sie sich beschmutzt, erniedrigt. Sie ist es, die den männlichen Fehltritt an sich in einer konkreten und unmittelbaren Form verkörpert. Er begeht den Fehler, wälzt ihn aber auf sie ab. Er sagt nur Worte, die er bald wieder vergißt. Er sagt sie in einem flehenden, bedrohlichen, vernünftigen oder wütenden Ton, und es bleibt ihr über lassen, sie in Schmerz und Blut umzusetzen. Manchmal sagt er auch gar nichts, er geht einfach. Doch sein Schweigen seine Flucht sind erst recht geeignet, den ganzen von Männern instituierten Moralkodex Lügen zu strafen.“1
Bevor jetzt einige Schnappatmung bekommen: Ja, das Zitat ist von Simone de Beauvoir aus „das andere Geschlecht“. Die Mutter des modernen Feminismus zitiert aus ihrem Grundlagenwerk. Und Ja, es gibt Männer, die unter der Entscheidung der Frau für einen Schwangerschaftsabbruch leiden. Aber um die soll es sich jetzt nicht drehen.
Seien wir doch ehrlich. Die Frau hat Recht. Wir versuchen Abtreibung im allgemeinen zu verbieten, aber aktzeptieren sie in Einzel-Fällen. Weil es scheinbar keine andere Lösung gibt. Geben soll? Liest du den Schrei, der aus diesen Zeilen, die Simone de Beauvoir nach unzähligen Gesprächen mit Frauen aus allen Gesellschaftsschichten, als deren Repräsentantin zu Papier brachte?
Sprechen auch wir wieder mit-ein-ander? Sprechen wir, wie im gleich verlinkten Beitrag, über die „Gründe für den Schwangerschaftskonflikt„?
1 Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Rowohl Taschenbuch Verlag, 27. Auflage, 2024, S. 621-623, Hervorgeb. d. Autors.




Immer wider diese Menschenwürde
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