[Teil 3 von 4]
„Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ (SRGR) sind ein Dauerbrenner […]. Seit langem ist es kein Geheimnis mehr, dass unter diesem vagen Begriff weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, Abtreibung gefordert und gefördert wird. Die Definition von ’sexueller und reproduktiver Gesundheit‘ (SRG), […] geht zurück auf die Definition, die auf der UN-Weltbevölkerungskonferenz (ICPD) in Kairo 1994 festgelegt wurde.
Diese gibt keinen Hinweis darauf, dass Abtreibung – egal in welcher Form – von ihr umfasst wird. Mehr noch: Das Thema Abtreibung wurde bei der Konferenz [vor 28 Jahren] hitzig und kontrovers diskutiert. Es war der große Streitpunkt des ‚Aktionsprogramms‚ der Konferenz, das schließlich davon absah, Abtreibung als Bestandteil in die SRG-Definition aufzunehmen. Von ’sexuellen Rechten‘ war noch nicht die Rede. Dieser Begriff wurde über die Jahre schleichend dem der ’sexuellen und reproduktiven Gesundheit‘ [SRG] beigefügt. SRGR erweckt damit den Eindruck, dass auch bezüglich ’sexueller Rechte‘ ein Konsens der UN-Nationen bestehe.“1
Wir wollen uns nun am eben genannten Beispiel der „sexuellen Rechte“ anschauen wie so eine schleichende Beifügung ablaufen kann. Dabei gilt zu beachten, wie wir in Teil 4 sehen werden, dass nicht nur die „sexuellen Rechte“ als Abtreibung (miss)verstanden werden können. Viele Institutionen, darunter Amnesty International, Human Rights Watch, der Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen (UNFPA), das UN-Hochkommisariat für Menschenrechte oder das Europäische Parlamentarische Forum für sexuelle und reproduktive Rechte“ (EPF), verstehen selbst unter „reproduktiven Rechten“ oder „sexueller und reproduktiver Gesundheit“ ein vermeintliches „Menschenrecht auf Abtreibung.“
Sexuelle Rechte à la IPPF
Das fehlende Puzzleteil, das sie eigentlich schon in Kairo 1994 definiert bekommen wollten und das auch in Peking 1995 immer noch nicht geliefert wurde, bastelte man sich einfach selbst. „Die International Planned Parenthood Federation (IPPF) verabschiedete im November 1995 die IPPF-Charta der sexuellen und reproduktiven Rechte, die sich an die Grundsätze aus Kairo 1994 anlehnt.“2 Diese liegt nun in aktualisierter Form vor. Darin heißt es:
„Die IPPF bekräftigt, dass sexuelle Rechte Menschenrechte sind. Sexuelle Rechte basieren auf einer Reihe von sexualitätsbezogenen Rechtsansprüchen, die aus den Rechten aller Menschen auf Freiheit, Gleichstellung, Privatsphäre, Selbstbestimmung, Integrität und Würde
abgeleitet werden.“3
Hier greift man den Stier bei den Hörnern und nutzt in gewisser Weiße die Formulierung aus der Abschlusserklärung von Peking, die explizit von den „Menschenrechten der Frau […] im Zusammenhang mit ihrer Sexualität, einschließlich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit“4 spricht.
Wenn man so will, hätte man als IPPF nun „sexuelle Rechte“ auf eigene Faust definiert – zwar nur für sich, aber man hätte sie definiert. Und diese 44seitige Definition hat es in sich! Vor allem Artikel 9 (S. 28f.) über „Das Recht auf freie Entscheidung für oder gegen die Ehe und für oder gegen die Gründung und Planung einer Familie sowie das Recht zu entscheiden, ob, wie und wann Kinder geboren werden sollen.“5 Dort heißt es u.a.: „Jede Frau hat das Recht auf Information, Bildung und solche Dienste, die für den Schutz ihrer reproduktiven Gesundheit, für sichere Mutterschaft und für sicheren Schwangerschaftsabbruch nötig sind, und darauf, dass diese Angebote zugänglich, finanzierbar, akzeptabel und für alle Nutzerinnen geeignet sind.“6
Sexuelle Rechte beinhalten also das Recht jeder Frau auf solche Dienste, die für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch nötig sind, und darauf, dass diese Angebote zugänglich, erschwinglich und akzeptabel sind. Das heißt für die IPPF: Wo „sexuelle Rechte“ drauf steht, ist auch Abtreibung drin. Und das heißt auch: Wo „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ (SRGR) drauf steht, ist ebenfalls Abtreibung drin. Denn SRGR beinhaltet per „schleichender Beifügung“ die „sexuellen Rechte“. Das sehen wir hier:
Das Guttmacher Lancet definiert SRGR
Darf es sich vorstellen? „Das Guttmacher-Institut ist eine führende Forschungs- und Politikorganisation, die sich für die weltweite Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte [SRGR] einsetzt.“7 „Das Guttmacher-Institut wurde 1968 als Center for Family Planning Program Development gegründet. […] Das Zentrum war ursprünglich in der Unternehmensstruktur der Planned Parenthood Federation of America (PPFA) angesiedelt. Sein Programm wurde jedoch unabhängig entwickelt und von einem vom PPFA-Vorstand getrennten nationalen Beirat beaufsichtigt. Im Jahr 1977 wurde das Zentrum in Erinnerung an Dr. Alan Guttmacher, einen langjährigen PPFA-Präsidenten und führenden Vertreter der Bewegung für reproduktive Gesundheit, umbenannt.“8
Das Guttmacher-Institut veröffentlicht u.a. die Fachzeitschrift „Guttmacher-Lancet“. 2018 wurde darin ein sehr entscheidender Bericht veröffentlicht. Dazu heißt es: „Die WHO und der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) begrüßen den Bericht der Guttmacher-Lancet-Kommission über sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR). Der Bericht zeigt, wie wichtig die Förderung und der Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit für das Wohlergehen aller Menschen sind und wie wichtig es ist, dass sie zur allgemeinen Entwicklung ihrer Gemeinschaften und Gesellschaften beitragen können.“9
Die Kommission definierte in diesem Bericht die SRGR:
„Sexuelle und reproduktive Gesundheit ist ein Zustand des körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf alle Aspekte der Sexualität und Reproduktion, nicht nur das Fehlen von Krankheit, Dysfunktion oder Gebrechen. Ein positiver Umgang mit Sexualität und Reproduktion sollte daher die Rolle von befriedigenden sexuellen Beziehungen, Vertrauen und Kommunikation bei der Förderung des Selbstwertgefühls und des allgemeinen Wohlbefindens anerkennen. Jede einzelne Person hat das Recht, Entscheidungen über den eigenen Körper zu treffen und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die dieses Recht unterstützen.“10
Dazu zählt die „Freie Entscheidung, ob, wann und mit welchen Mitteln sie ein Kind oder mehrere Kinder bekommen, und wie viele Kinder sie haben möchten.“11 Und ein „lebenslanger Zugang zu Informationen, Ressourcen, Dienstleistungen und Unterstützung, die notwendig sind, um all dies zu erreichen, frei von Diskriminierung, Zwang, Ausbeutung und Gewalt.“12
Wer könnte schon gegen all diese guten und erstrebenswerten Ziele sein? Niemand, richtig. Aber mittlerweile sollte so langsam durchsickern, dass wo „SRGR“, oder schon allein „sexuelle Rechte“ (SR), „reproduktive Rechte“ (RR) oder „sexuelle und reproduktive Gesundheit“ (SRG), draufsteht, noch lange nicht Fortpflanzungsgesundheit und dergleichen enthalten sein muss. #schleichendeBeifügung
Wir müssen geanuer hinschauen. Müssen Nachfragen. Welche Organisation verwendet welche Definition? Ist das auf die Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 zurückzuführen, oder ist das eine eigene Interpretation dieser Begriffe? #ichMachMirDieWelt…
SRGR: Zur Definition freigegeben
Höchst interessant ist, dass selbst die Guttmacher-Lancet-Kommission weiß, dass ihre Definition keine internationale, keine rechtlich, anerkannte Gültigkeit besitzt! Sie spricht von der „SRGR-Gemeinschaft“, die erkennt, dass „die Komponenten von SRGR miteinander verknüpft sind und dass die Verwirklichung der sexuellen und reproduktiven Rechte für die Erreichung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit unerlässlich“13 ist. Sie fordert deswegen „Regierungen, UN-Organisationen, die Zivilgesellschaft und andere wichtige Akteure dazu auf, eine neue, umfassende Definition von SRGR zu erarbeiten, die das gesamte Spektrum der Bedürfnisse der Menschen einbezieht, die in globalen Diskussionen selten anerkannt oder angesprochen werden, einschließlich des sexuellen Wohlergehens und der persönlichen Autonomie.“14
Sie müßte nicht zur Erarbeitung einer „neuen, umfassenden Definition von SRGR“ auffordern, wenn es davon schon eine international anerkannte Definition gäbe. Das heißt im Umkehrschluss: Es gibt sie nicht! Aber weil die Kommission uns so lieb bittet und wir uns als „wichtige Akteure“ aufgefordert fühlen, hier nochmal unsere Lieblingsdefinition:
„Der Begriff ‚Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte‘ ist […] als identisch mit den im Aktionsprogramm von Kairo definierten Begriffen ‚reproduktive Rechte‘ und ’sexuelle und reproduktive Gesundheit‘ zu verstehen und hat keine über diese Definitionen hinausgehende Bedeutung, insbesondere statuiert er kein Recht auf Schwangerschaftsabbruch.“15
Zusammenfassung
Die Bundesregierung meint, der „Fachbegriff ’sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR)‘ beschreibt das uneingeschränkte körperliche und seelische Wohlbefinden in Bezug auf alle Bereiche der Sexualität und Fortpflanzung des Menschen. Zu den entwicklungspolitischen Maßnahmen zur Verwirklichung dieser Rechte zählen zum Beispiel Sexualaufklärung, HIV-Prävention, Familienplanung, die Versorgung bei Schwangerschaft und Geburt, die Vorbeugung und Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten sowie die Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt, etwa der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen.“16 Sie benutzt also den Begriff der SRGR und hat ihn für sich definiert.
Und da liegt das Problem. Jeder benutzt „SRGR“ aber keiner weiß so richtig was gemeint ist. Und jede Regierung oder Organisation versteht etwas anderes darunter. Das Guttmacher-Institut und die IPPF verstehen natürlich unter SRGR auch das Recht auf Abtreibung. Warum? Ein Grund könnte sein, dass sie damit Geld verdienen. Drückt jetzt die Bundesregierung der IPPF Entwicklungshilfegelder, mit dem Auftrag „Helfen im Sinne von SRGR“, in die Hand, freut sich jeder für sich:17 Die Regierung über „Hilfe für Frauen“ und die IPPF, dass sie ihre Abtreibungen finanziert bekommt.
Wie nochmal handelt man im Sinne der Abschlusserklärung von Kairo ’94 – wenn man Abtreibung jetzt doch zu einem Bestandteil der Familienplanung macht?
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Quellen zuletzt aufgerufen am 07.11.2022:
1: Sophia Kuby; Die EU – Komplizin der Abtreibungspolitik in Entwicklungsländern?; in Büchner, Kaminski, Löhr (Hg.); Abtreibung – ein neues Menschenrecht?; Sinus Verlag; 2. Auflage; 2014; S. 173f.
2: https://de.wikipedia.org/wiki/Sexuelle_Rechte
3: Sexuelle Rechte: Eine IPPF Erklärung; S. 11 (https://www.profamilia.de/fileadmin/publikationen/profamilia/IPPF_Deklaration_Sexuelle_Rechte-dt2.pdf)
4: https://www.un.org/Depts/german/conf/beijing/anh_2_3.html#iv-c; Punkt 96
5: Sexuelle Rechte: Eine IPPF Erklärung; S.28 (https://www.profamilia.de/fileadmin/publikationen/profamilia/IPPF_Deklaration_Sexuelle_Rechte-dt2.pdf)
6: ebd.; S. 29; Hervorheb. d. Autors
7: https://www.guttmacher.org/about
8: https://www.guttmacher.org/about/history
9: https://www.thelancet.com/pdfs/journals/lancet/PIIS0140-6736(18)30901-2.pdf
10: https://www.guttmacher.org/sites/default/files/page_files/fortschritt-beschleunigen-kurzfassung.pdf; S. 4 von 8
11: ebd.
12: ebd.
13: ebd.
14: ebd.
15: https://dserver.bundestag.de/btd/18/019/1801958.pdf; Hevorheb. durch den Autor, diese Definition ist ein möglicher Vorschlag
16: https://www.bmz.de/de/service/lexikon/srgr-sexuelle-und-reproduktive-gesundheit-und-rechte-14826
17: vgl. dazu: „Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte, Bevölkerungsdynamik Ein Positionspapier des BMZ“ (https://repository.publisso.de/resource/frl:2504526-1/data); S. 7, rechte Spalte | Sowie: Die Internetseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: https://www.bmz.de/de/themen/sexuelle-reproduktive-gesundheit-rechte: „Das BMZ unterstützt auch wichtige internationale Partner in diesem Bereich. Dazu zählt die Internationale Föderation für Familienplanung (International Planned Parenthood Federation, IPPF). Die Mitgliedsorganisationen dieses Dachverbands ermöglichen Menschen in 170 Ländern direkten Zugang zu Methoden der Familienplanung und zu Gesundheitsdiensten. Die IPPF ist international eine wichtige Stimme für das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit.“ | Interessant ist, dass gleich auf der Startseite der www.ippf.org Seite, die das BMZ in dem zitierten Text verlinkt hat, steht: „Abortion is healthcare“ („Abtreibung ist Gesundheitsvorsorge“).
Bilder: Junge_Melden; Frau_Buch; Beamer; OP_Saal; Frau_Laptop_Bleistift
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