Diesmal zum Thema „Bevölkerungspolitik“ bzw. „Überbevölkerung“ wieder ein „Zitat des Tages„. Besser als Susanne Heim und Ulrike Schaz es in ihrem Buch „Berechnung und Beschwörung: Überbevölkerung – Kritik einer Debatte“ (1996), beschreiben, kann man es kaum auf den Punkt bringen:
„Die Vorstellung von ‚Überbevölkerung‘ durchzieht dieses [20.] Jahrhundert als eine politische Ideologie. Ihre ProtagonistInnen haben die jeweiligen Paradigmenwechsel der Politik mitgemacht und sich neuen Verhältnissen schnell und geräuscharm angepaßt. Sie vertrugen sich mit den Rassenideologen des Nationalsozialismus, mit den Strategen des Stalinismus, mit den Herren des Weltmarkts und den Damen der Frauenbefreiung. Die Gespenster, die sie an die Wände projiziert, die Katastrophen, die sie ausgemalt haben, wechselten mit jeder Änderung des Zeitgeistes. Die Überzeugungskraft dieser Ideologie basiert nicht auf der Stichhaltigkeit der Argumente, die zu ihrer Untermauerung vorgebracht werden, sondern vor allem auf der Drohung mit der Gefahr und auf der Fiktion, daß es sich bei ‚Überbevölkerung‘ um eine wissenschaftlich objektivierbare Erscheinung handele.
Die Erzeugung dieser wissenschaftlichen Tatsache beruht indessen auf einer Voraussetzung: Damit überhaupt von einer ‚Bevölkerungsfrage‘ gesprochen werden kann, muß von den einzelnen Menschen abstrahiert werden. Im Überbevölkerungsdiskurs kommen weder Personen noch ihre Lebensbedingungen wirklich vor, sondern nur der ‚Faktor Bevölkerung‘, eine variable Größe, an der und mit der die unterschiedlichsten ‚Operationen‘ vorgenommen werden können.
Dieser reduktionistische Ansatz macht es möglich, in den verschiedensten historischen Situationen unterschiedliche soziale und politische Interessengegensätze und Probleme auf einen immer gleichen, scheinbar zeitlosen Nenner zu bringen, auf eine immer irgendwie bedrohliche, ahistorische ‚Bevölkerungsfrage‘. In der Folge können mit Verweis auf das ‚höhere‘ Ziel oder die gigantische Gefahr die individuellen Rechte konkreter Personen ignoriert werden oder einem imaginären Gemeinwohl untergeordnet werden. Indem die Ebenen der persönlichen Rechte und der historischen Differenzierung vernachlässigt werden und stattdessen aus der Perspektive der gesamten Menschheit argumentiert wird, erlangt der Wechsel von freiwilligen Entscheidungen zur Zwangsintervention im Namen einer planenden Vernunft den Anschein, gerechtfertigt zu sein. Politische Entscheidungen, die auf diesem Konstrukt basieren, erscheinen so als Vollzug einer nicht mehr zu hinterfragenden Rationalität, die gegenüber ethischen Einwänden immun ist. […]
Aber dem Überbevölkerungsdogma ist zu widersprechen, und hinter der scheinbar für alle gleichermaßen existenziellen ‚Bevölkerungsfrage‘ sind die jeweils konkreten gesellschaftlichen Konflikte und divergierenden Interessen sichtbar zu machen. Denn was auch immer die angestrebten ‚Lösungen‘ waren, nicht der ‚Faktor Bevölkerung‘, sondern noch stets einzelne Menschen hatten die Konsequenzen zu tragen.“
Susanne Heim und Ulrike Schaz; Berechnung und Beschwörung, Überbevölkerung – Kritik einer Debatte; Verlag der Buchläden Schwarze Risse – Rote Straße; Berlin; 1996, S. 199f.
Quellen:
Zitat: Susanne Heim und Ulrike Schaz; Berechnung und Beschwörung, Überbevölkerung – Kritik einer Debatte; Verlag der Buchläden Schwarze Risse – Rote Straße; Berlin; 1996, S. 199f.; Hervorhebungen und Pfeil durch den Autor.
Bilder: Titelbild; Schlafendes_Baby
Sebastian Meichßner
Auf das Buch sind wir bei unseren Recherchen über den Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen (UNFPA) gestoßen…
Ela
Das rassistische Gerede von der Überbevölkerung kam leider von einem anglikanischen
Pfarrer namens Thomas Robert Malthus (1766-1834). Sein „Essay on the Principle Of Population“
(„Aufsatz über das Prinzip der Bevölkerung“).
Zu den Anhängern des Thomas Malthus gehört bis heute der Schmetterlingsforscher Paul Ehrlich,
dessen Buch „The Population Bomb“ anno 1968 zu einem weltweiten Bestseller wurde.
Er sagte dort gewaltige Hungersnöte schon in den Siebzigerjahren voraus, vor allem in Asien,
wenn es nicht gelinge, die „Bevölkerungsexplosion“ unter Kontrolle zu bringen.
Der „Club of Rome“ prophezeite wenig später, im Jahr 2000 würden der Welt die Rohstoffe ausgehen.
Nur die Tugenden des Thomas Malthus – also Enthaltsamkeit, Demut, Anspruchslosigkeit
– könnten die Menschheit vielleicht noch im letzten Moment vor der Katastrophe bewahren.
Zu lesen: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article123412041/Das-rassistische-Gerede-von-der-Ueberbevoelkerung.html
Das Märchen von der Über-Bevölkerung wird seit den 60er Jahren erzählt.
Filmempfehlung: „Population BOOM“ von Werner Boote