Er ist Ehrlich, der Inbegriff eines Untergangspropheten: Der Entwickler und Autor von „die Bevölkerungsbombe“ (1968). Damals als Alarmist abgetan, sind viele seine Prognosen bis heute nicht eingtroffen. Dennoch lässt Ehrlich es sich nicht nehmen erneut in die letzte Posaune zu blasen.
Zu viele Menschen
Bei einer anfang Januar ’23 mit dem Titel „Wissenschaftler sagen, Die Erde erlebt derzeit ein sechstes Massenaussterben“ veröffentlichten Folge von ’60 Minutes‘ trat der mittlerweile 90jährige Ehrlich erneut vor seine Anhängerschaft.
„Zu viele Menschen. Zu viel Konsum und Wachstumswahn. […] Oh, die Menschheit ist nicht nachhaltig. Um unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten, Ihren und meinen, braucht man für den gesamten Planeten im Grunde fünf weitere Erden. Es ist nicht ganz klar, wo die her kommen sollen. […] Die Menschheit sitzt sehr geschäftig auf dem Ast, den wir gerade selber absägen.“1
1968 klang das noch ein bisschen bissiger, als er sagte: „Wir können es uns nicht länger leisten, nur die Symptome dieser Krebsgeschwulst Bevölkerungszunahme zu behandeln. Die Geschwulst selbst muß entfernt werden.“2
Schon damals sehnte er eine medienwirksame Apokalypse herbei: „Angenommen, es kommt zu gewaltigen Hungersnöten, Seuchen breiten sich aus, eine Milliarde Menschen kommt um. Wenn eine solche Katastrophe genügend Publizität erfährt, kann vielleicht eine Wiederholung verhindert werden. Es muß nur dafür gesorgt werden, daß das Unglück nicht mit ‚technischen Versagen‘ oder ‚höherer Gewalt‘ entschuldigt und verharmlost wird. Die Menschheit muß die Hauptursache des Desasters erkennen – die Überbevölkerung.“3
Paul R. Ehrlich – ein guter Ratgeber?
Neben dem was man auf Wikipedia und ähnlichen Seiten findet, wollen wir euch eine kleine Story über Paul R. Ehrlich weitergeben, die wir in Mara Hvistendahl’s „Das Verschwinden der Frauen – selektive Geburtenkontrolle und die Folgen“4 (2013) gefunden haben. Nebenbei bemerkt, diesen Buch von Hvistendahl ist absolut lesenswert. Sollte in eurem Bücherregal stehen.
Hvistendahl beschäftige sich mit dem Phänomen, dass es Kulturen und Teile der Erde gibt, in denen die natürliche Geschlechtsverteilung bei der Geburt völlig aus den Fugen geraten ist. Es werden viel mehr Jungen als Mädchen geboren. Sie suchte u.a. Ehrlich in seinem Büro in Stanford auf, wo er eine Professur innehatte und sich wieder mit dem Studium der Lebensräume der Schmetterlinge beschäftigte, weil er damals in seinem Buch u.a. folgendes zu Geschlechtsselektion schrieb:
„Wäre die Entwicklung einer einfachen Methode möglich, die garantiert, daß die erstgeborenen Kinder Söhne sind, würden die Probleme der Bevölkerungskontrolle in vielen Teilen der Welt reduziert werden. Denn: der Wunsch nach einem Sohn ist der Vater vieler Töchter.“5
Paul R. Ehrlich – gestern und heute
„‚Also dann.‘ Er lacht mich an zeigt dabei seine Zähne. Abgesehen von einem Bauchansatz und gelichtetem Haar hat er sich seit seinen Auftritten in der Tonight Show äußerlich nicht groß verändert. Er trägt sogar noch den gleichen Typ Hochwasser meldende Hose wie damals, jetzt aber kombiniert mit einem farblich etwas gedeckterem Karohemd. ‚Was war es noch mal, weswegen sie gekommen sind?'“6
Nach einem langen Rundgang durch sein Gedankenarchiv, wie Hvistendahl es nennt, lenkt sie das Gespräch auf die oben zitierte Aussage aus „die Bevölkerungsbombe“ und möchte wissen wie Ehrlich heute dazu steht und ob er sich immer noch für Geschlechtsselektion aussprechen würde. Hvistendahl selbst schildert die Sache so: „Ich [gem. ist Hvistendahl] lehne mich in Erwartung einer defensiven Antwort zurück und rechne damit, jetzt vielleicht zu hören, dass er den Schaden, den Geschlechtsbestimmung in der Dritten Welt anrichtet, nicht voraussehen konnte. Vielleicht würde er auch zu seiner damaligen Position stehen und mir erklären, wieso Geschlechtsselektion für die Welt nach wie vor eine großartige Sache ist. Kurz ich rechne mit allem, nur nicht mit dem, was dann tatsächlich geschieht, nämlich dass Ehrlich mich fragend ansieht. ‚Ach was?‘, sagt er freundlich. ‚Interessant. Daran erinnere ich mich gar nicht.'“7
Ehrlich beginnt dieser Idee wieder neu hinterherzudenken. Und hält kurz inne als er eine Horde notgeiler chinesischer Männer in der Konsequenz sieht. Diesen Gedanken verwirft er aber sofort wieder, weil die Möglichkeit durch Geschlechtsselektion die Bevölkerungszunahme zu reduzieren doch zu verlockend scheint.
„Während ich zusah, wie Ehrlich bei der Verteidigung einer Idee, die er angeblich vergessen hat, sprunghaft die Themen wechselte, fragte ich mich, ob er nicht vielleicht bloß ein Träumer war – der Typ Mensch, der sich in Ideen verliebt, ohne sich groß um ihre Konsequenzen in der realen Welt zu kümmern. Aber jetzt sehe ich, dass es mehr als nur das ist. […] Ehrlich ist nicht nur ein Träumer. Er ist auch ein Utilitarist – einer der mit dem großen Ganzen vor Augen bereit ist, Einzelne für den höheren Zweck geopfert zu sehen.“8
Die Lösung hartnäckiger Übelstände auf der Welt
Ehrlich hatte bereits in seinem Buch „Die Bevölkerungsbombe“ von 1968 mit dem Gedanken gespielt, wie es wäre „Sterilisationsmittel zum Trinkwasser oder zu den Grundnahrungsmitteln“9 beizumischen. Im Gespräch mit Mara Hvistendahl, Jahre später, verteidigt er diese Idee weiterhin und sagt, „[d]eren Reiz liege darin, dass sie eine Welt schaffen würde, in der Paare auf eine Schwangerschaft – und nicht wie jetzt auf eine Schwangerschaftsverhinderung – gezielt hinarbeiten müssten. Nach seiner Vermutung ist die Idee umstritten, weil es den Menschen widerstrebt, die Kontrolle über ihre Fortpflanzungsorgane an den Staat abzutreten, aber wenn es gelänge, dieses Widerstreben irgendwie zu überwinden, meint er, könnte Massensterilisation – technische Machbarkeit vorausgesetzt – uns einige hartnäckige Übelstände auf der Welt beheben helfen.“10
Nun ja. ‚Hoffnungsvolle Ansprache‘ würden wir leicht zynisch sagen. Die Lösung für die Probleme der Menschheit ist deren Beseitigung. Also, um das wirklich klarzustellen, Ehrlich meint die Beseitigung des Menschen, nicht der Probleme.
Quellen: zuletzt aufgerufen am 07.01.2023
1: Ehrlich im Interview mit 60 Minutes (https://www.youtube.com/watch?v=6TqhcZsxrPA&t=6s) im englishes Original: „Too many people. Too much consumption and growthmania. […] Oh, humanity is not sustainable. To maintain our livestyle, yours and mine, basically for the entire planet you need five more earths. Not clear where they gonna come from. […] Ressources that whould be required. The systems that support our lives, which of course are the bio diversity that we’re wiping out. Humanity is very busily sitting on a limb that we are sawing off. […] I was alarmed. I am still alarmed. All of my colleagues are alarmed. The rate of extinction is extraordinary high now and getting higher all the time.“ Übersetzt mit Deepl.com: „Zu viele Menschen. Zu viel Konsum und Wachstumswahn. […] Oh, die Menschheit ist nicht nachhaltig. Um unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten, Ihren und meinen, braucht man für den gesamten Planeten im Grunde fünf weitere Erden. Es ist nicht ganz klar, wo die her kommen sollen. […] Die Ressourcen, die benötigt werden. Die Systeme, die unser Leben unterstützen, was natürlich die biologische Vielfalt ist, die löschen wir aus. Die Menschheit sitzt sehr geschäftig auf einem Ast, den wir selber absägen. […] Ich war alarmiert. Ich bin immer noch alarmiert. Alle meine Kollegen sind alarmiert. Die Rate des Aussterbens ist jetzt außerordentlich hoch und wird immer höher.“
2: Paul Ehrlich, die Bevölkerungsbombe, 1971, Carl Hanser Verlag, München, S. 14
3: ebd.; S. 136
4: Mara Hvistendahl; Das Verschwinden der Frauen – selektive Geburtenkontrolle und die Folgen; 2011; Deutsche Erstausgabe 2013; Deutscher Taschenbuch Verlag
5: Siehe FN. 2; S. 109
6: Siehe FN: 4; S. 170
7: ebd.; S. 171
8: ebd.; S. 172
9: Siehe FN 2; S. 106f.
10: Siehe FN. 4; S. 173
Bilder: Titelbild Ehrlich WikiCommons (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/0f/Paul_R_Ehrlich.png/2048px-Paul_R_Ehrlich.png); Ehrlich 60 Minutes Screenshot (https://www.youtube.com/watch?v=6TqhcZsxrPA&t=6s); Afrikanische_Schulklasse; Mann_Frau_Klippe
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