Naturschutz ist sehr wichtig. Ein Thema, dass zur Zeit breit diskutiert und in die Mitte der Gesellschaft getragen wird. Aber wir haben das dumpfe Gefühl, dass der Naturschutz vor dem der sie schützen soll, dem Menschen selber, halt macht. Der Weltbevölkerungsbericht der UNFPA1 bzw. die Studie der WHO vom 4. April 20232 könnten dafür nur ein paar Beispiele sein.
Kontext zum Weltbevölkerungsbericht
Liest man nur mal das Vorwort von Dr. Natalia Kanem (Exekutivdirektorin Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA)) zum Weltbevölkerungsbericht der UNFPA, stößt man auf Formulierung wie: „Immer und immer wieder erleben wir, dass Fertilitätsraten als Problem – und als Lösung – dargestellt werden, ohne dass denen, die die Kinder zur Welt bringen, eigene Handlungskompetenz zugestanden wird.“3
Oder: „Heute finden die Ängste vor ‚Über‘ und ‚Unterbevölkerung‘ einen Nährboden im Klimawandel, in Pandemien, Konflikten, Massenvertreibungen, wirtschaftlicher Unsicherheit und anderen Problemen. Aber die Reproduktion der Menschen ist weder das Problem noch die Lösung.„4
Kinder bekommen oder nicht ist also weder ein Problem, noch eine Lösung. Lösung allein wäre laut Bericht, „die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern“5 bzw. „die Stärkung der Frauen, ihrer Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.“6 Ziel des Berichts ist es, um es mal auf den Punkt zu bringen, den Willen des Menschen zu stärken und ihn von jeglichen Bevormundungen bzw. Zwängen zu befreien. Denen, die keine Kinder bekommen können, dies aber wollen, soll der Kinderwunsch ermöglicht werden. Dazu zählt auch der Kinderwunsch von LGBTQI+ Menschen. Und denjenigen, die Kinder bekommen können bzw. schon schwanger sind, es aber nicht wollen, sollen ebenfalls alle Rechte, auch des Schwangerschaftsabbruchs, eingeräumt werden.
Denn, wie es im erwähnten Weltbevölkerungsbericht weiter heißt: „Es ist unser Grundrecht, sowohl als Einzelperson als auch als Paar frei und verantwortungsbewusst über die Anzahl, den Abstand und den Zeitpunkt der Geburt unserer Kinder zu entscheiden und die hierfür erforderlichen Informationen und Mittel zu erhalten. Wir müssen in der Lage sein, Entscheidungen zur reproduktiven und sexuellen Gesundheit frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt zu treffen. Die Dienste, die uns helfen, diese Ziele zu erreichen, müssen erschwinglich, angemessen, zugänglich und von hoher Qualität sein.“7
Wir müssen uns der Natur anpassen!…?
Worin sich dieses hin und her begründet? Der technische Fortschritt u.a. in Form von Anti-Baby-Pille, verschiedene Abtreibungsmethoden bzw. IVF-Behandlungen haben die Erfüllung dieser sich scheinbar widerstrebenden Wünsche denkbar und möglich gemacht. Carl R. Trueman in „Der Siegeszug des modernen Selbst“ fasst dies gut zusammen, wenn er schreibt: „Alle diese [technischen] Entwicklungen haben dazu beigetragen, die Herrschaft der Natur abzuschwächen und den Menschen von seiner eigenen Macht zu überzeugen [niemand muss mehr schwanger bzw. unfruchtbar sein, der es nicht will; Anm. d. Autors]. Damit will ich die Technik nicht als gut oder schlecht bewerten. Sie kann eindeutig beides sein. Wir leben jedoch alle in einer Welt, in der es immer einfacher wird, sich vorzustellen, dass wir die Realität nach unseren eigenen Wünschen beeinflussen können, anstatt akzeptieren zu müssen, dass wir uns ihr notgedrungen anzupassen haben.“8
Robert Spaemann hatte bereits in 1974 darauf aufmerksam gemacht, dass in seinen Augen die Richtung dieser Veränderungen „Emanzipation des Menschen von den Zwängen der Natur“ heißt. Wir lesen zum Abschluss dieses Beitrags mal ein bisschen in den Text9 rein:
„‚Emanzipation des Menschen von den Zwängen der Natur‘. Diese Formel ist suggestiv. Ein einleuchtendes klares Ziel für menschliches Handeln gibt es indessen [auch im Weltbevökerungsbericht der UNFPA, Anm. d. Autors] nicht. Es ist nicht von ungefährt, daß die Formel immer im Zusammenhang mit Tötungsabsichten auftaucht. Volle Emanzipation von den Zwängen der Natur ist in der Tat gleichbedeutend mit Tod, genauer gesagt mit Selbstmord. Denn nur durch ihn entziehen wir uns allen nicht nur uns selbst gesetzten Bedingtheiten unserer Existenz. Die Umweltdebatte der letzten Jahre hat gezeigt, daß die von keiner ‚Scheu‘ gehemmte Emanzipation von der Natur dem kollektiven Selbstmord der Menschheit rapide entgegenführt. Wo Natur nicht mehr als die durch Erinnerung zu versöhnende Bedingung unseres Daseins erscheint, sondern als Fessel, derer wir uns entledigen müssen, da wird ein Traum mit tödlichem Ausgang geträumt.
Emanzipation von der Natur, Herrschaft über die Natur ist ein ambivalentes Ziel. Es bedeutet immer zugleich: Ausweitung der Macht der Gesellschaft über den Menschen; denn der Mensch ist die Naturbasis der Gesellschaft. Herrschaft über die Natur impliziert Herrschaft von Menschen über Menschen. Denn der Mensch ist selbst auch ein Stück Natur. Ihn erst dort als Subjekt anerkennen, wo er nicht mehr Natur ist, heißt die Dinge von den Füßen auf den Kopf stellen. Erst darin nämlich erweist sich der Mensch als naturüberschreitendes Wesen, als Person, daß er ein anderes natürliches Wesen seiner Art als frei, als eigenen Rechtes anerkennt. Schon die Entstehung des Menschen ist ja nicht ein Werk des Menschen. Wir können zwar die Empfängnis verhüten, aber der Zusammenhang von Beischlaf ung Zeugung ist keine menschliche Erfindung, sondern eine ‚Erfindung‘ der Natur. Insofern tritt jeder Mensch als geborenes, nicht als kooptiertes Mitglied in die Gesellschaft ein. Er ergreift seine Recht, ohn sie anderen Menschen verdanken zu müssen. Eben dies, was [andere] für Biologismus [halten], ist in Wirklichkeit die Bedingung der Freiheit.“9
Quellen (zuletzt aufgerufen am 10.05.2023):
1: Weltbevölkerungsbericht 2023 des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA); https://youngandfree-kaleb.de/weltbevoelkerungsberichts-2023-des-un-bevoelkerungsfonds-unfpa/
2: Behandlung von Unfruchtbarkeit verringert Ungleichheit zwischen den Geschlechtern?; https://youngandfree-kaleb.de/falscher-ansatz/;
3: 8 Milliarden Leben, Unendliche Möglichkeiten: ein Plädoyer für Rechte und freie Entscheidungen, Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), Loebensteinstr. 25 | 30175 Hannover, https://www.dsw.org/wp-content/uploads/2023/04/UNFPA-Weltbevoelkerungsbricht_2023.pdf, S. 4, Hervorheb. d. Autors, Herausgeber des Berichts: © UNFPA, Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen — 19. April 2023, https://www.unfpa.org/sites/default/files/swop23/SWOP2023-ENGLISH-230329-web.pdf
4: ebd., S. 5, Hervorheb. d. Autors.
5: ebd.; Mit Gleichstellung ist hier aber nicht nur „Mann“ und „Frau“ gemeint. Gleichstellung der Geschlechter basiert auf der Gendertheorie. Vgl. dazu S. 45: „Der Frauenkörper als Problem und Lösung Kurios erscheint, dass sowohl die Angst vor „zu vielen“ als auch die Angst vor ‚zu wenig‘
Menschen gleichermaßen zur Folge haben kann, dass die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen unterdrückt wird. Selbst die Sprache ist dieselbe. Wo die Fertilitätsraten niedrig sind, diffamiert eine ‚genderfeindliche‘ Rhetorik die Gleichbehandlung der Geschlechter, LGBTQI+-Rechte, umfassende Sexualaufklärung und reproduktive Selbstbestimmung in ähnlicher Weise als unerwünschte Einflüsse aus dem Ausland.“
6: ebd., S. 18
7: ebd., S. 56
8: Carl R. Trueman, Der Siegeszug des modernen Selbst, 2022, Verbum Medien gGmbH, S. 49f.
9: Der Text stammt von Robert Spaemann – “Kein Recht auf Leben?” in “Auf Leben und Tod – Abtreibung in der Diskussion” Hrsg. Hofacker/ Steinschulte/Fietz/ Brinsa, Bergisch Gladbach; 5. völlig neu bearbeitete und erheblich erweiterte Auflage 1991, S. 130f.
Bildnachweise: Titelbild: https://unsplash.com/photos/cAuV981ygCg?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditShareLink; Frau Spiegel Tabletten: https://unsplash.com/photos/kb1pUCGIHMw?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditShareLink; Kind Superheld: https://unsplash.com/photos/opwMKZ6nw6Y
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