In Deutschland – ein Untersuchungsansatz. So lautet der Titel einer aktuellen Studie, die im Fachjournal „Geburtshilfe Frauenheilkunde“ von Thieme veröffentlicht wurde. Wir haben uns die Studie mal angeschaut und sind erstaunt, dass Abtreibungen oft gar nicht so viel mit „Selbstbestimmung“ zu tun haben. Aber lest selbst:
Jährlich werden in Deutschland ca. 100.000 Schwangerschaften abgebrochen. Das Statistische Bundesamt erfasst zwar die Anzahl und ob es sich um eine sozial, medinzinisch oder kriminologisch indizierte Abtreibung handelt. Über die Gründe gibt es jedoch eine sehr, sehr mangelnde Datenlage. Das verwundert nur auf den ersten Blick. Denn selbst die Ärzte und Beratungsstellen sind nicht verpflichtet sich die Gründe für eine Abtreibung sagen zu lassen.
Wie erforscht man die Gründe?
„Der Versuch, die Gründe für den Schwangerschaftskonflikt zu erfassen, ist äußerst komplex, da es sich dabei um eine sehr persönliche Angelegenheit handelt, die von einer Vielzahl höchst individueller und oftmals subjektiver Faktoren und Zusammenhänge geprägt ist. Als Grundlage des Untersuchungsansatzes wurden die Gedächtnisprotokolle der freien Telefon- und Onlineberatungsstelle VitaL ausgewählt.“1
Von den anderen Trägern des Beratungssystems in Deutschland (Pro Familia, Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt) hieß es, „dass Untersuchungen zu Konfliktgründen organisationsintern bisher nicht durchgeführt wurden.“
„VitaL sieht sich als Ergänzung zu den klassischen Beratungsstellen, hat eine 24-Stunden-Hotline und berät Frauen aus einem systemischen Ansatz heraus. Dies beinhaltet die Aufklärung über einen Schwangerschaftsabbruch und die Stärkung von Ressourcen. Selbstbestimmung werde ’nicht von jeder Frau als Privileg‘, sondern könne ‚auch als Belastung empfunden‘, erläutert VitaL. Entsprechende Beratungsgespräche müssen daher möglichst gründlich die Ursachen für den Konflikt eruieren, um zu erkennen, auf welche Hilfen die betroffene Frau angewiesen ist, um ein Austragen des Kindes überhaupt in Erwägung zu ziehen.“3
Die Forschergruppe hat 1.668 anonymisierte Beratungsprotokolle aus den Jahren 2012 bis 2018 untersucht.
Was kam raus?
Aus der Analyse der Daten geht hervor, dass „Partnerschaftsprobleme“, (also „Kindsvater will das Kind nicht“, „Druck durch die Familie“ und „Umfeld“), der mit Abstand häufigste Grund für eine Abtreibung sind:
„Die Konfliktgründe ‚Kindesvater will das Kind nicht‘, ‚Druck durch Familie‘ und ‚Druck durch Umfeld‘ haben gemeinsam, dass sie eine druckausübende Beeinflussung Dritter auf die Frau und ihre Schwangerschaft darstellen. […] Nicht selten scheinen Frauen also einen Schwangerschaftsabbruch zu erwägen, weil sie nicht die notwendige Unterstützung ihres Umfeldes – insbesondere die des Kindesvaters – erhalten oder sogar zu einem Abbruch genötigt werden.“4
Schlussfolgerung
Die Forschergruppe stellt fest, dass in der Beratung verstärkt darauf geachtet werden sollte, ob die Schwangere durch einen mehr oder weniger offensichtlichen Druck Dritter zum Abbruch der Schwangerschaft gedrängt wird. Unter diesen Umständen könnte der Abbruch schwerwiegende Folgen für die Frau haben.
„Auf politischer Ebene sollte bedacht werden, dass eine weitere Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen diesen Frauen wahrscheinlich nicht helfen würde. Die Intentionen jener Außenstehenden könnten dadurch sogar begünstigt werden. Restriktive Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs und eine Konfliktberatung, die versucht, die Gründe für den Konflikt zu eruieren und Alternativen zu einem Abbruch zu eröffnen, sind also nicht eindimensional zu betrachten: Sie schützen nicht nur das ungeborene Kind, sondern auch die Interessen einer nicht unbedeutenden Anzahl von Frauen im Schwangerschaftskonflikt.“5
Einbeziehung des „Dritten“
Dr. Med. Ingrid Olbricht schrieb bereits 1996 in „Was Frauen krank macht“ über den Schwangerschaftskonflikt folgendes:
„Wichtig wäre auf jeden Fall die gedankliche Einbeziehung und Überprüfung auch der Rolle des Mannes, eine Teilhabe an seiner Verantwortung für die Entstehung der Schwangerschaft, obwohl dies gleichzeitig zwiespältig ist, denn nur zu schnell kommt es dazu, daß er über Erhalt oder Abbruch einer Schwangerschaft entscheidet. Mit dieser Verantwortung wäre jedoch bereits die Übernahme eines Teils der Verhütungsverantwortung verbunden. Auch die volle Verantwortung für die ‚Erzeugung‘ eines ungewollten Kindes gegen den Willen der Frau wäre selbstverständlich. Selten läßt sich von Männern erfahren, was sie bewegt hat, wenn sie an einer ungeplanten oder ungewollten Schwangerschaft, nicht selten durch Gewaltanwendung, beteiligt waren. Denn zu jedem Schwangerschaftskonflikt gehört auch ein Mann. Es wird angenommen, daß fast jeder zweite in der Bundesrepublik lebende erwachsene Mann der ‚Erzeuger‘ einer abgebrochenen Schwangerschaft ist. Oft sind es die Männer, die die Fortführung der Schwangerschaft ablehnen und nicht selten durch psychischen Druck, Androhen des Verlassens und körperliche Gewalt den Abbruch erzwingen“.6
Und weiter: „Bei praktisch jeder Abtreibung hat daher der ‚Erzeuger‘ entscheidend mitgewirkt, entweder durch Druck oder verbale Äußerungen, oft aber auch, indem er sich seiner Verantwortung entzieht und die schwangere Frau mit ihren Problemen alleinläßt.“7 Alleinlässt auch in dem sie mittlerweile „selbst bestimmen“ muss.8
§218 abschaffen?
Das plant die Bundesregierung. Was aber vor dem Hintergund dieser Studie alles andere als eine Befreiung der Frau wäre. Zwar wird gesagt, dass man ohne durch den von §218 verursachten gesetzlichen Druck einer Frau zwanglos(er) helfen könnte, wenn „aber von der Befreiung vom Druck die Rede ist – welchen Druck will man beseitigen? Der Druck des verantwortlungslosen Erzeugers wird natürlich bei Legalisierung der Abtreibung zunehmen. Die Frau, die nicht abtreibungswillig ist, wird der Möglichkeit beraubt, sich ihm gegenüber aufs Strafgesetzbuch und auf die Risiken der Illegalität zu berufen.“9
1: Dienerowitz Fet al. Gründe für den … Geburtsh Frauenheilk 2022; 82: 689–692 | © 2022. Thieme. All rights reserved
2: ebd.
3: https://www.imabe.org/bioethikaktuell/einzelansicht/studie-zu-schwangerschaftskonflikt-zahlreiche-frauen-geben-druck-durch-dritte-an
4: siehe Fn. 1
5: ebd.
6: Was Frauen krank macht. Der Einfluss der Seele auf die Gesundheit der Frau. Kösel, München 1996; S. 205
7: ebd.; S. 205f.
8: An dieser Stelle sei erwähnt, dass es auch viele Männer gibt, und die sollen hier nicht unerwähnt bleiben, die unter einer Abtreibung leiden. Sie wollten das Kind. Man muss bei dem Zitat vielleicht auch den zeitlichen Rahmen bedenken. Mittlerweile haben sich die gesellschaftlichen Gegenbenheiten so geändert, dass Frauen auch ohne Druck des Partners abtreiben. Aber für diese beiden Phänomene „trauernde Männer“ und „Drucklose Abtreibung“ bräuchte es weitere Blogbeiträge.
9: Robert Spaemann – “Kein Recht auf Leben?” in “Auf Leben und Tod – Abtreibung in der Diskussion”; Hg. Hofacker u.a.; Bergisch Gladbach; 1985; S. 81., Hervorheb. d. Autors
Bilder: Die drei Bilder haben im Rahmen eines FlexAbos bei https://de.depositphotos.com/ erworben
Sebastian Meichßner
Interessanterweise berichtet Walter Schrader (in Manfred Balkenohl / Roland Rösler (Hg.) Handbuch für Lebensschutz und Lebensrecht (vergriffen) © 2010 by Bonifatius GmbH Druck – Buch – Verlag Paderborn; S. 261-276) über die Gesetzes- und „Druck“Situation in der DDR ähnliches. In der DDR wurde Abtreibung 1972 bis zur 12. Schwangerschaftswoche vollkommen legalisiert. Er schreibt: „Das Gesetz hat zu einer grenzenlosen Abtreibungsmentalität geführt. Sie machte Frauen gegenüber Erpressungen seitens der Eltern, Partnern und der Gesellschaft schutzlos. Manche Frau, die auf der Gyn-Station zur Abtreibung vorbereitet wurde, hat mir unter Tränen ihr Leid geklagt: Sie würde gern das Kind bekommen, ihr Partner drängt sie aber, es ‚wegmachen‘ zu lassen. ‚Wenn es ein solches Gesetz gibt, das Abtreibung erlaubt, kann es doch nicht schlimm sein‘, so meist das Argument des Mannes.“