In den Parteien der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt es viele, die sich unermüdlich für die Frauen und deren Rechte einsetzen! Jedoch bereitet es mir gerade Sorgen um diese Rechte wenn ich den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (Drucksache 20/13775) lese. Schaut man den sich an, dann geht es ihm scheinbar nicht um die allgemeine Frau, sondern „genauer: aller Menschen, die schwanger werden können“.1 Vielleicht denke ich hier zu kleinkariert, aber dass diese Präzisierung gleich auf den ersten Zeilen erfolgt, setzt in gewisser Weise schon den Ton für die folgenden.
Außerdem scheint die Frau als eine Art Wirt für die in ihr symbiotisierende Schwangere mit Embryo/Fetus zu dienen.2 Beide begegnen sich, laut Entwurfstext, nicht mehr als zwei voneinander getrennte Individuen, sondern sind „im Körper der Frau miteinander verbunden“.3 Muss sie diese Verbindung aushalten, um entkriminalisiert zu werden, was laut angeführter Statistik sehr selten vorkommt4, und um den ‚juristischen‘ Schwangerschaftskonflikt zu lösen?
Aber, das wäre meine Frage, drücken und drängen wir damit nicht den Konflikt in die Innerlichkeit der Frau? Verstärkt diese Sicht nicht den inneren Konflikt, isoliert die Frau und lässt sie allein? Natürlich darf sich dann der Staat nicht in das Innenleben der Menschen einmischen und es zu kontrollieren versuchen. Aber gehört dieser Konflikt wirklich allein in die Innenwelt? Oder entledigt sich der Staat hier eines Konflikts, indem er keine unliebsamen generalpräventiven Signalwirkungen sendet, welche die Strafnorm als ein Kommunikationsakt an die Gesellschaft über das sozial-ethische Unwerturteil hätte?5 Ist es allein Entscheidung der Frau? Oder wird sie bei dieser Entscheidung allein gelassen?
Kann und darf dieser Konflikt überhaupt allein in der Innenwelt eines Menschen stattfinden? Es macht den Eindruck, dass dieser Entwurf das Erbe u.a. von Simone de Beauvoir und ihrem von Jean-Paul Sartre beeinflussten existentialistischen Feminismus, ist. Da ist jede Frau zur Freiheit verdammt6, vereinzelt und auf sich selbst geworfen. Aber gerade ein Kind, welches das Zentrum eines Schwangerschaftskonflikts bildet, ist doch Symbol dafür, dass sie nicht vereinzelt ist. Dieser Konflikt, dieses Kind, ist nie aus ihr(em Willen) allein heraus entstanden. Gibt es nicht auch Frauen, die ein Kind ohne bewusste, existentialistische Entscheidung einfach annehmen? Doch de Beauvoirs Philosophie würde an dieser Stelle eine Entscheidung fordern und (ver)führt damit jede Frau in einen per se Konflikt. „Willst du das Kind, oder Nicht?“ „Stand das überhaupt in Frage?“ Ja, laut Simone de Beauvoirs Feminismus muss das zur Debatte, muss das in Frage gestellt werden, muss sich jede Frau entscheiden. Auch über Unentscheidbares. Und hier lauert die Versuchung.
Wenn aber sich die Frau nicht entscheidet, Simone de Beauvoir links liegen lässt, dann bekommt sie das Kind auch so. Einfach so. Das Ja zum Leben gilt in der Schwangerschaft, in der Natur, auch ohne Entscheidung.
Natürlich: Menschen sind einzeln, da Simone recht. Menschen müssen Entscheidungen für ihr (ur)eigenes Leben treffen. Aber nicht nur. So würde man den Menschen sonst nur halb und nicht ganz sehen. Auf dem linken Auge blind, quasi. Oder war es das rechte? Wie dem auch sei, das scheint mir die Krux. Der Mensch ist eben immer auch ein Gemeinschaftswesen. Simone de Beauvoirs Theorie hat für die Frau vieles errungen, aber sie verliert sie halb aus den Augen. Sie betracht sie, so meine Auffassung, nur als „Ich“. Aber, laut Martin Buber, „gibt [es] kein Ich an sich, sondern nur das Ich des Grundworts Ich-Du“7. Was Buber meint ist, dass der Mensch immer in einer Beziehung lebt. Immer in Beziehung zu Etwas (Grundwort Ich-Es) oder Jemanden (Grundwort Ich-Du). Wer ‚Ich‘ sagt, denkt immer schon ‚Du‘ mit. Und an eben diesem ‚Du‘ wird der Mensch zum ‚Ich‘.8 Ich grüble darüber, ob wir der Frau ihre Ich-werdung verwirken, indem wir ihr das ‚Du‘ des heranreifenden Embryo, das ‚Du’ ihres Partners, das ‚Du‘ der sorgenden Gesellschaft ausreden und alles ihrem ‚Ich‘ unterstellen? Sie auf sich selbst werfen, indem wir sie zu ihrer Freiheit verdammen.
Wenn sie aber in keiner Ich-Du Beziehung steht, dann kann die Frau auch für niemanden ein ‚Du‘ sein/werden. Dann verschwindet sie wie ein Gesicht am Meeresufer im Sand.9 Aber ob dem wirklich so ist? Ich kann es nicht sagen, es sind lose Gedankenenden.
Noch bedenklicher erscheint mir die Philosophie Judith Butlers in „Das Unbehagen der Geschlechter“. Butler meinte z.B., dass das Bestehen auf „einem festen Subjekt des Feminismus – ‚Frau(en)‘ verstanden als bruchlose Kategorie – unweigerlich zahlreiche Ablehnungen hervor[rufe]“10 und dachte, dass es „sinnvoll ist, wenn das Subjekt ‚Frau(en)‘ nirgendwo vorausgesetzt wird.“11 Ihre These „ist dagegen, daß(sic!) es keinen ‚Täter hinter der Tat gibt‘, sondern daß(sic!) der Täter in unbeständiger, veränderlicher Form erst in und durch die Tat hervorgebracht wird.“12 Nach dieser Auffassung gibt es keine Frau(en), sondern nur solche die so tuen. Folglich kann es, wenn es keinen täter gibt, auch keine Strafe geben.
Auch mit der Selbstbestimmung und freien Entscheidungen ist es so eine Sache. Simone de Beauvoir, die bahnbrechende und eingangs zititierte Vordenkerin des modernen Feminismus, sagte 1975 im Gespräch mit der amerikanischen Feministin Betty Friedan: „Keine Frau sollte die Wahl haben, zu Hause zu bleiben, um ihre Kinder zu erziehen. Die Gesellschaft sollte völlig anders sein. Frauen sollten diese Wahl nicht haben, gerade weil, wenn es eine solche Wahl gibt, zu viele Frauen diese Wahl treffen werden.“13
Friedan dazu: Die „Autorität, mit der sie [de Beauvoir] über Frauen sprach, schien mir steril, kalt, eine Abstraktion, die zu wenig Bezug zu ihrem wirklichen Leben hatte. Ich kam mir fast wie eine Närrin vor, die sich mit den alltäglichen Fragen herumschlägt, mit denen sich Frauen in ihrem persönlichen Leben und in der Bewegungsstrategie auseinandersetzen müssen. Diese Fragen schienen sie überhaupt nicht zu interessieren. Irgendwie schien sie sich nicht mit den gewöhnlichen Frauen zu identifizieren, die versuchen, etwas Neues aus sich zu machen, oder sich in irgendeiner Weise mit ihren alltäglichen Problemen verbunden zu fühlen. Und doch sprach sie die modischen radikalen Phrasen, lehnte ‚Elitismus‘ ab und erhob zusammenfassend die anonyme ‚Arbeiterfrau‘.“14Außerdem sagte de Beauvoir, so Friedan weiter: „Die Bequemlichkeit der Familie, die Einrichtung des eigenen Heims, die Mode, die Ehe, die Mutterschaft – all das sei der Feind der Frauen […]. Es geht nicht einmal darum, den Frauen eine Wahl zu lassen – alles, was sie ermutigt, Mutter werden zu wollen oder ihnen diese Wahl lässt, ist falsch. Die Familie muss abgeschafft werden, sagte sie mit absoluter Autorität. Wie wollen wir dann die menschliche Rasse fortführen? Es gibt bereits zu viele Menschen, sagte [Simone de Beauvoir]. Soll ich [Friedan] das ernst nehmen?“15
Wie ernst nehmen wir Simone de Beauvoir und Judith Butler? Wie ernst nehmen wir Buber’s Ansichten? Diese Zeilen, bezug nehmend auf den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (Drucksache 20/13775), zu schreiben, fühlt sich ebenfalls närrisch an. Aber nicht hoffnungslos. Ich hoffe und bitte, dass wir unsere Ansichten und Entscheidung über diesen Entwurf auch vor dem Hintergrund folgender „evidenzbasierten medizinischen Erkenntnissen“16 treffen, welche Sie im medizinischen Lehrbuch über „Funktionelle Embryologie“ (Rohen und Lütjen-Drecoll) finden: „Durch die Befruchtung ist aus den extrem einseitig differenzierten und gewissermaßen im Absterben befindlichen Geschlechtszellen (S+E) der Keim eines neuen Organismus geworden, die Zygote, die keinesfalls mit einer Körperzelle verglichen werden darf. Sie ist der Ursprung des neuen Individuums, in dem alles (potenziell) enthalten ist, was den späteren Organismus ausmacht. Es kommt nichts mehr hinzu. Die Zygote ist damit (funktionell) bereits das Ganze. Die weitere Entwicklung vollzieht sich damit immer vom Ganzen in die Teile und nicht durch Addition von Einzelteilen […]. Auch wenn sich an der Zygote noch nichts ‚Menschliches‘ (äußerlich) erkennen lässt, ist das Ganze bereits (funktionell) präsent und zeigt schon in den ersten Entwicklungsschritten seine gewaltigen Potenzen.”17 Oder wie Prof. Dr. Blechschmidt es formuliert hatte: „Das heisst: ein Mensch entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch.“18 Der Mensch, jeder, ist für das ‚Ich‘ seinem Wesen nach immer ein ‚Du‘. Es sei denn, dass ‚Ich‘ ihn verdingliche, zum ‚Es‘ mache. Dieser gerade beschriebene Mensch ist ebenfalls ein ‚Du‘. Kein ‚Es‘.
Vielen Dank.
Quellenangaben:
Titelbild: https://unsplash.com/photos/woman-in-brown-coat-using-black-laptop-computer-AOdELn6senM?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash
1 Drucksache 20/13775, https://dserver.bundestag.de/btd/20/137/2013775.pdf, S. 2.
2 Vgl. ebd., S.17.
3 ebd.
4 Siehe ebd., S. 20.
5 Vgl. Drucksache 20/13775, https://dserver.bundestag.de/btd/20/137/2013775.pdf, S. 20.
6 Siehe https://www.spiegel.de/politik/jean-paul-sartre-a-e9daa837-0002-0001-0000-000014328674, zuletzt aufgerufen am 25.11.2024.
7 Martin Buber, Ich und Du, Reclam, 2021, S: 8 [3].
8 ebd., S. 33, [28.1].
9 Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Ordnung_der_Dinge#cite_note-DieOrdnungDerDinge-4, zuletzt aufgerufen am 27.11.2024.
10 Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Erste Auflage 1991, 22. Auflage 2021, Suhrkamp, S. 20.
11 ebd., S. 22.
12 ebd., S. 209.
13 Simone de Beauvoir (1975) in Betty Friedan; It changed my Life, writings on the Women’s Movement; 1976; S. 311f.
14 ebd.; S. 305.
15 ebd., S. 305f.
16 ebd.
17 Rohen & Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, Georg Thieme Verlag KG, 6. Auflage, 2022, S. 22.
18 Blechschmidt Erich; Wie beginnt das menschliche Leben; 1989; 6. neubearbeitete Auflage; Christiana Verlag; S. 158.
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