Die SPD Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius Gersdorf, war letzte Woche bei Markus Lanz und hat, neben einem etwas misslungenen Grundkurs in Selbstverteidigung, einen sehr interessanten Gedanken geäußert. Hören wir mal rein:
„Also im Koalitoinsvertrag steht genau das, was ich vorgeschlagen habe im Ergebnis. Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut […] dann steht da drin, dass die Koalition für eine Ausweitung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen bei Schwangerschaftsabbrüchen ist. Das kann sich nur auf die Frühphase der Schwangerschaft beziehen. Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts darf es eine Leistungspflicht bei Schwangerschaftsabbrüchen nur geben wenn er rechtmäßig ist. Also geht auch der Koalitionsvertrag davon aus, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase rechtmäßig ist. Das heißt im Ergebnis passt zwischen dem Koalitionsvertrag und meiner wissenschaftlichen Position kein Blatt.“1
(Die Zitat-Stelle in der Sendung klickt ihr hier)
Echt jetzt? Kann nicht sein! Was steht denn da im Koalitionsvertrag?!?
„Wir wollen Frauen, die ungewollt schwanger werden, in dieser sensiblen Lage umfassend unterstützen, um das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen. Für Frauen in Konfliktsituationen wollen wir den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen. Wir erweitern dabei die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus. Zudem werden wir die medizinische Weiterbildung stärken.“2
Hatten wir Hausaufgaben auf?
„Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts darf es eine Leistungspflicht bei Schwangerschaftsabbrüchen nur geben wenn er rechtmäßig ist.„3 So klingt jemand der seine Hausaufgaben4 gemacht hat und der von seinen Followern als „hochangesehene Juristin, die fachlich über jeden Zweifel erhaben„5 sei, bezeichnet wird.
Und so klingt jemand, der zuviel um die Ohren hat, der seine Hausaufgaben nicht gemacht bekommen hat: „Was im Koalitionsvertrag verabredet worden ist, soll kommen; da macht niemand Abstriche. Welche Rechtsfolgen das hat, möglicherweise auch auf den § 218 des Strafgesetzbuches, kann ich jetzt nicht abschließend beurteilen. Ich will nur darauf hinweisen, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland davon ausgeht, dass es rechtswidrig ist, aber unter bestimmten Umständen straffrei bleibt. Ob diese Konstruktion geändert werden muss, wenn wir im Sozialrecht und im Krankenkassenrecht etwas ändern, vermag ich im Augenblick nicht zu beantworten. Meine Vermutung ist, wir werden daran, jedenfalls deswegen, nichts ändern müssen.“6 Danke Friedrich Merz.
So klingt jemand, der vielleicht den Text nicht zu 100Prozent verstanden hat: „Bei geringem Einkommen werden die Kosten schon heute von den Bundesländern aus Steuermitteln übernommen. In dem Antragsverfahren sind die Krankenkassen das Scharnier, sie leiten die Anträge an die staatlichen Stellen weiter. Nichts anderes ist gemeint, wenn im Koalitionsvertrag von einer Erweiterung der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ‚über die heutige Regelung hinaus‘ die Rede ist […] Es gibt auch keinen Anlass zu Interpretationen, dass die Union von der Rechtslage abrücken will […] Eine Veränderung bei Paragraf 218 ist nicht vereinbart und stünde im klaren Widerspruch zur Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Ungeborenen und zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes.“7. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) gegenüber WELT.
So klingt jemand, die Hausaufgaben abschreibt: „Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir die Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen über die aktuelle Regelung hinaus erweitern. Für mich bedeutet das, dass wir diese zu einer Kassenleistung machen wollen […] Dafür wäre es tatsächlich erforderlich, den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase zu legalisieren, weil rechtswidrige Eingriffe nicht über die Krankenkassen finanziert werden können. Hier hat Frau Brosius-Gersdorf recht.“8
Wohin führt ‚über die heutigen Regelungen hinaus‘?
Bei der Formulierungen im Koalitionsvertrag gab es scheinbar einiges Hin und Her. In der Ursprungsfassung hieß es noch, dass dort, „wo die Hilfsangebote nicht ausreichen“9 man eine Verbesserungen anstoßen wolle. Jetzt geht es „über die heutigen Regelungen hinaus„.10 Aber wohin? Muss tatsächlich am §218 gerüttelt werden? Um diese Fragen beantworten zu können sollten schleunigst wir unsere Hausaufgaben machen! Einen ersten Anhaltspunkt könnte man in „Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbruch und Verhütungsmittel“11 der wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages finden.
Sind gespannt auf eure Ergebnisse in den Kommentaren.
Bilder: Drei_Mädchen_Bank: https://unsplash.com/de/fotos/frau-liest-buch-wahrend-sie-auf-einem-stuhl-sitzt-omeaHbEFlN4?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash; Laptop: https://unsplash.com/de/fotos/frau-im-weissen-langarmhemd-mit-macbook-pro-A0vN36UoJ6I?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash; Titelbild: https://unsplash.com/de/fotos/frau-in-schwarzem-armellosem-oberteil-h6gCRTCxM7o?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash
- Brosius-Gersdorf über ihre Positionen, Bedrohungen und Rückzugsgedanken | Markus Lanz vom 15.07.25, https://www.youtube.com/watch?v=a06i6dpyT_E, zuletzt aufgerufen am 21.07.2025. ↩︎
- Verantwortung für Deutschland, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 21. Legislaturperiode, https://www.cdu.de/app/uploads/2025/04/KoaV-2025-Gesamt-final-0424.pdf, S. 102. ↩︎
- Siehe FN. 1 ↩︎
- z.B. Formuliert es das BVerfG so: „Die Übernahme der Arztkosten und die sozialversicherungsrechtlich vorgesehene Organisation und Gewährleistung der ärztlichen Leistungen für die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sind zwar nicht unmittelbar ursächlich für die Tötung des ungeborenen Lebens; sie stellen sich aber als eine Beteiligung des Staates an diesem Vorgang dar. Eine solche Beteiligung ist dem Staat nur gestattet, wenn der Tatbestand einer rechtfertigenden Ausnahme vom prinzipiellen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs erfüllt und dies mit rechtsstaatlicher Verläßlichkeit festgestellt worden ist. Der Staat darf sich an der Tötung ungeborenen Lebens nicht beteiligen, solange er von der Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs nicht überzeugt sein kann.“ (BVerfGE 88, 203; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv088203.html) ↩︎
- Dirk Wiese, Erster Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion,
https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7634427#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjM0NDI3&mod=mediathek, https://dserver.bundestag.de/btp/21/21019.pdf, zuletzt aufgerufen am 16.07.2025. ↩︎ - Sommer-Pressekonferenz des Bundeskanzlers, Mitschrift Pressekonferenz, Freitag, 18. Juli 2025, https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/kanzler-sommer-pressekonferenz-2025-2365966, zuletzt aufgerufen am 21.07.2025 ↩︎
- Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) gegenüber WELT, „Ein einziger Satz von Brosius-Gersdorf entfacht den schwarz-roten Grundsatzkonflikt neu“, von Sabine Menkens, 21.07.2025, https://www.welt.de/politik/deutschland/plus687df084232ed33c41739eaf/abtreibungen-ein-einziger-satz-von-brosius-gersdorf-entfacht-den-schwarz-roten-grundsatzkonflikt-neu.html, zuletzt aufgerufen am 21.07.2025. ↩︎
- Carmen Wegge gegenüber WELT, ebd. ↩︎
- Koalitionsverhandlungen CDU/CSU/SPD AG 7 – Familie, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratie, https://fragdenstaat.de/dokumente/258025-koalitionsverhandlungen-cdu-csu-spd-ag-7-familie-frauen-jugend-senioren-und-demokratie/ ↩︎
- FN. 2. ↩︎
- Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbruch und Verhütungsmittel, Wissenschaftliche Dienste, Sachstand, WD 8 – 3000 – 017/24, https://www.bundestag.de/resource/blob/1014696/583c0ae41ceb768ffd89945e82c29e30/WD-8-017-24-pdf.pdf. ↩︎
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