Vor ein paar Jahren haben wir uns in „Die Familie ist die Keimzelle des Faschismus!“ recht satirisch ausgelassen. Wir waren der Meinung, dass u.a. aus den Arbeiten der Frankfurter Schule diese Auffassung und Ablehnung gegenüber der Familie herrührt. Aber nun wollen wir nicht nur satirisch vom Leder ziehen, sondern wir knöpfen uns heute den Kopf der Bande mal vor. Dabei haben wir sehr erstaunliches festgestellt.
1936: Studien über Autorität und Familie
1936 veröffentlichte das Institut für Sozialforschung ein Gemeinschaftswerk mit dem Titel „Studien über Autorität und Familie“1, das als Sammelband in Paris publiziert wurde. Max Horkheimer, deutscher Sozialphilosoph und führender Kopf der Frankfurter Schule, leitete damals das Insititut. Er schrieb für diesen Band das Vorwort und den ersten Beitrag, das Essay „Autorität und Familie„.2 Diesen Max Horkheimer und besonders sein Essay wollen wir uns einmal genauer ansehen.
Schon im Vorwort zu „Studien über Autorität und Familie“ machte Horkheimer damals deutlich wo die Reise hingehen sollte: „Unter allen gesellschaftlichen Institutionen, welche die Individuen für Autorität empfänglich machen, steht aber die Familie an erster Stelle.„3 Er bescheinigte der Familie auch, dass sie „in ihrer Bedeutung für die Autorität in der gegenwärtigen Gesellschaft […] stets […] eine unvertretbare Rolle gespielt“4 hat.
[Kleiner Einschub: Man muss hierbei immer die Zeit beachten in der Horkheimer schreibt.]
In seinem Essay „Autorität und Familie“ zeigte er dann u.a. anhand des chinesischen Ahnenkults, dass Familie zwar Halt geben, aber im Allgemeinen den großen Sprung nach vorn stark berhindern kann. „‚Dieser [Ahnen]Kult‘,“ zitiert Horkheimer zur Verdeutlichung Edward Thomas Williams, „‚war ein Hindernis für jeden Fortschritt. Er hat sich nicht nur der religiösen Propaganda, sondern gesundheitlichen Einrichtungen, der Seuchenbekämpfung und allen erzieherischen und politischen Reformen entgegengestellt. Glücklicherweise bricht dieser Konservatismus jetzt zusammen, weil der Familienzusammenhalt schwindet‚“.5
Die „Erziehung in der Klein-Familie“, so Horkheimer weiter, bilde „eine ausgezeichnete Schule für das kennzeichnende autoritäre Verhalten in dieser [gem. ist deutschen] Gesellschaft.“6 „Der Unterwerfungstrieb ist aber keine ewige Grösse, sondern ein wesentlich in der bürgerlichen Klein-Familie erzeugtes Phänomen.“7 Horkheimer schrieb, dass es die „Aufgabe der Familie [ist], zum autoritären Verhalten in der Gesellschaft zu erziehen„.8
Nun warmgelaufen, ging der Kopf der Frankfurter Schule auf den nächsten Seiten ins Detail:
„Unter den Verhältnissen, welche die seelische Prägung des grössten Teils aller Individuen sowohl durch bewusste als durch unbewusste Mechanismen entscheidend beeinflussen, hat die Familie eine ausgezeichnete Bedeutung. Die Vorgänge in ihr formen das Kind von seinem zartesten Alter an und spielen bei der Entfaltung seiner Fähigkeiten eine ausschlaggebende Rolle. So wie im Medium dieses Kreises die Wirklichkeit sich spiegelt, erfährt das Kind, das in ihm aufwächst, ihren Einfluss. Die Familie besorgt, als eine der wichtigsten erzieherischen Mächte, die Reproduktion der menschlichen Charaktere, wie sie das gesellschaftliche Leben erfordert, und gibt ihnen zum grossen Teil die unerlässliche Fähigkeit zu dem besonders gearteten autoritären Verhalten, von dem der Bestand der bürgerlichen Ordnung in hohem Masse abhängt.“9
Horkheimer stellte ebenfalls folgendes fest: „Die Totalität der Verhältnisse im gegenwärtigen Zeitalter, dieses Allgemeine, war durch ein Besonderes in ihm, die Autorität, gestärkt und gefestigt worden, und dieser Prozess hat sich wesentlich in dem Einzelnen und Konkreten, der Familie, abgespielt. Sie bildete die ‚Keimzelle‘ der bürgerlichen Kultur, welche selbst ebenso wie die Autorität in ihr lebendig war.“10 Und die „Familie [wird] als Produzentin von bestimmten autoritären Charaktertypen ihre unentbehrliche Wirkung üben“, prognostiziert Horkheimer, „[s]olange die grundlegende Struktur des gesellschaftlichen Lebens und die auf ihr beruhende Kultur der gegenwärtigen Weltepoche sich nicht entscheidend verändern.“11
Dass diese sehr kritische Familienanalyse aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein würde, ahnte Max Horkheimer wohl schon als er 1935 sein Vorwort, ganz im Sinne seiner mit Theodor W. Adorno entwickelten kritischen Theorie, mit folgendem Satz einleitete: „[D]ie Ergebnisse sind in mehr als einer Hinsicht unvollständig.“12
1947/ 1949: Autorität und Familie in der Gegenwart
Wir haben uns weiter mit Horkheimers Sicht auf die Familie beschäftigt und fanden u.a. diesen Hinweis: „In einer späteren Studie (1949) hat Horkheimer sein ursprünglich vorwiegend negatives Urteil über die Familie geradezu umgekehrt und sich zum Anwalt der ‚Familie im echten Sinn‘ gemacht“, schrieb Wolfgang Brezinka (1981).13 Wir waren verblüfft aber das konnten wir nicht glauben bis wir es selber gelesen hatten. Deswegen haben wir uns kurzerhand den neuen Beitrag Horkheimers über die Familie besorgt. Gefunden haben wir ihn in einer 1960 veröffentlichten Festschrift. Sein Beitrag trug dem Titel „Autorität und Familie in der Gegenwart“.14 Ja, auch wir fanden den Titel sehr originell.
Nun, in der Gegenwart und nach den Erfahrungen des Faschismus und den voranschreitenden (technischen) Veränderungen in der Gesellschaft, bemängelte Horkheimer, dass zwar das Individuum stärker hevorgehoben wird, jedoch die Bedeutung des Familienverbandes schwindet.15 Das sind völlig neue Töne. 1936 hat er dieses Schwinden noch begrüßt.
Horkheimer, kritischer Beobachter wie eh und je, beschrieb nun, dass durch diese Veränderungen16 „[d]er Bruch mit der Familie […] für das Mädchen ebenso wie für den Jungen seinen Schrecken“ verliert.17 „Diese Wandlung macht sich im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern bemerkbar, lange bevor diese herangewachsen sind“ stellte der Sozialphilosoph fest und warnte in diesem Zusammenhang: „Autorität im Hause nimmt einen irrationalen Zug an.“18
Horkheimer sah die Gefahren der Individualisierung. Das Zeitalter der Postmoderne beschreibend, fuhr er fort: „Während sich der Einzelne in früherer Zeit nur als Teil gleichsam organischer Wesenheiten sah, die seinem Leben Sinn gaben und in seinen Handlungen und Vorstellungen ständig gegenwärtig waren, tendieren die Individuen heute in der Tat dahin, jene sozialen Atome zu werden, zu denen die bürgerlichen Revolutionen nach der Ansicht ihrer Kritiker die Gesellschaft pulverisiert haben.“19
Wenige Zeilen später schrieb er, dass nun auch die „Akteure auf der Bühne der Familie […] soziale Atome [bleiben], obgleich sie die Rollen von Ehemännern, Hausfrauen und Kindern spielen.“ Auch die Ehe sah Horkheimer durch „das Instrument der Scheidung praktisch abgeschafft“.20
Sein Fazit: „Entweder wird die Atomisierung der Menschen durch tiefgreifendere Veränderungen und Umwandlungen überwunden, oder sie könnte unserer Kultur in der Tat zum Verhängnis werden. Die gleichen wirtschaftlichen Veränderungen, die die Familie zerstören, führen die Gefahr des Totalitarismus mit sich. Die Familie in der Krise bringt jene Einstellung hervor, die die Menschen zur blinden Unterwerfung prädisponieren.“21
Jetzt klingt er wieder wie der alte Horkheimer, oder? Nur mit dem Unterschied, dass nur die bedrohte Familie, „die Familie in der Krise“, eine Familie also, die nicht richtig funktioniert, zur Keimzelle des Totalitarismus werden kann. Diese Sicht weicht stark ab, von dem was er ursprünglich mal über die Familie im Allgemeinen schrieb. Horkheimer sprach sich in der Gegenwart, für eine Familie aus, die auf allen Ebenen funktioniert. Aber was meinte er damit?
Horkheimer drückte es in neagtiver Weise so aus: „Je mehr die Abhängigkeit von der Familie zu einer rein psychologischen Funktion in der Seele des Kleinkindes reduziert wird, desto abstrakter und unbestimmter wird sie im Bewußtsein des Heranwachsenden; nicht selten entwickelt sich daraus eine allgemeine Bereitschaft, jede beliebige Autorität zu akzeptieren, wenn sie nur stark genug ist.“22
Der frühere Kopf der Frankfurter Schule führte das auf die veränderten Rollen von Mann und Frau bzw. Vater und Mutter zurück. „Die sozial bedingte Schwäche des Vaters, die durch gelegentliche Ausbrüche von Männlichkeit nicht widerlegt wird verwehrt dem Kind, sich wahrhaft mit ihm zu identifizieren. In früheren Zeiten war die liebende Nachahmung des selbstsicheren, klugen Mannes, der sich seinen Pflichten widmet, für das Individuum die Quelle moralischer Autonomie. Heute freilich hält das heranwachsende Kind, das anstatt eines Vaterbildes nur die abstrakte Vorstellung einer willkürlichen Macht empfing, Ausschau nach einem stärkeren, machtvolleren Vater, nach einem Über-Vater, wie ihn die faschistische Ideologie anbietet.“23
„Die Frauen“, schrieb Horkheimer „haben für ihre begrenzte Zulassung zur wirtschaftlichen Welt des Mannes mit der Übernahme der Verhaltensschemata einer durch und durch verdinglichten Gesellschaft gezahlt. […] Die Mutter hört auf, ein beschwichtigender Mittler zwischen dem Kind und der harten Realität zu sein, sie wird selbst noch deren Sprachrohr. Früher stattete sie das Kind mit einem Gefühl der Sicherheit aus, das ihm ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu entwickeln ermöglichte […], sie konnte wahrhaft mit ihrem Kind utopischen Träumen nachhängen, und sie war seine natürliche Verbündete, ob sie dies wünschte oder nicht. Es gab also im Leben des Kindes eine Macht, die es ihm erlaubte, zugleich mit der Anpassung an die äußere Welt seine eigene Individualität zu entwickeln.“24
Horkheimer schloß diesen Beitrag mit der Feststellung, dass die Familie als Realität, wie er es nannte, eine Familie mit real existierenden Vater und Mutter, frei von irgendwelchen ideologischen Verbiegungen, „die verläßlichste und erfolgreichste Gegeninstanz gegen den Rückfall in die Barbarei ist“.25 Von diesem Rückfall in die Barberei sei jedes Individuum bedroht. Und deswegen, so Horkheimer, braucht es „die beschützenden Funktionen der Familie“. Er stellte nun fest, dass Kinder, die der „Barbarei“ verfallen, wahrscheinlich nicht unter einer zu kräftigen Familie, sondern eher an einem Mangel familiärer Bindung leiden.26
Sowohl Rechts als auch Links
Wer nach diesen Zitaten seine alte ‚Die Bestie in Menschengestalt‚ Platte hervorkramen will, sich nun endgültig darin bestätigt sieht, dass Spingerstiefel sich nach Zärtlichkeit sehnen und Gewalt nur ein stummer Schrei nach Liebe ist, um dann endlich aus voller Kehle „Arschloch“ schreien zu können, der hat Horkheimer nicht verstanden. Ihm ging es nie nur um den Kampf gegen Rechts.
Ja Horkheimer war Marxist. Aber für ihn „war der Marxismus – als revolutionäre Kraft – eine Waffe im Kampf gegen den Nationalsozialismus. In diesem Sinne hat sich Horkheimer auch immer als Marxist verstanden. Aus diesem Grunde muß die sogenannte Abkehr Horkheimers vom Marxismus vor dem Hintergund der geschichtlichen Ereignisse in den vierziger Jahren gesehen werden. Für ihn knüpfte sich zudem an den Marxismus die Hoffnung, er werde die Tradition der Aufklärung fortsetzen, die Errungenschaften des liberalen Zeitalters in eine freie, gewaltlose Gesellschaftsordnung übernehmen. Doch schon der Hitler-Stalin-Pakt war für ihn ein erster Beweis, daß auch jene Staaten, die sich auf die Marxsche Lehre beriefen, das Ideal der freien Entfaltung der Persönlichkeit denunzierten. Die Vernunft, in der ‚die Ideen der Gerechtigkeit, der Gleichheit, des Glücks, der Demokratie, des Eigentums‘ gründen, wurden im Westen wie im Osten zu einem bloßen Instrument degradiert.“27
Horkheimer war gegen den Faschismus nicht nur weil er faschistisch war. Sondern, und dagegen war er immer, weil der Faschismus totalitär war. Horkheimer setzte sein ganzes Leben lang alle seine Kräfte für die Gerechtigkeit gegen den Totalitarismus ein. Egal, ob der von Rechts oder Links kam, Totalitarismus war für Horkheimer immer verachtenswert.
1970: Verabschiedet sich so das Gewissen?
Nach dieser, im Hinblick auf die Familie, überraschenden Wende, äußerte sich Horkheimer ein paar Jahre später (1970) nochmals zu dem Thema:
„Durch die zahlreichen soziologischen, psychologischen und technischen Veränderungen insbesondere der bürgerlichen Familie, […] ist doch die Autorität des Vaters erschüttert. Daraus, so glaube ich, ergeben sich große Konsequenzen. Spielt das Gewissen, da die Autorität des Vaters nicht mehr dieselbe ist wie früher, eine andere Rolle? Oder kann es sich überhaupt nicht mehr herausbilden? Das sind Fragen, die heute überhaupt nicht mehr untersucht werden. […] Eines scheint in jedem Fall klar zu sein, daß der Zusammenbruch des Vater-Mythos, ohne auch nur einigermaßen entsprechenden Ersatz, die Existenz des Gewissens als gesellschaftliches Phänomen in Frage stellt. Die Mutter, die ihren Beruf ausübt, ist etwas völlig anderes als die Mutter, deren Lebensaufgabe die Erziehung der Kinder war. Der Beruf verdinglicht ihre Gedanken. Dazu kommt noch etwas anderes. Sie ist gleichberechtigt. Sie strahlt, von Ausnahmen abgesehen, nicht die Liebe aus wie vorher. Die Mutter bewahrte bisher ihre Natur als Ganzes und strahlte sie aus, durch ihre Sprache, ihre Gebärden. Ihre bewußten und unbewußten Reaktionen […] spielten eine entscheidende Rolle in der Erziehung. Sie prägten das Kind vielleicht entschiedener als die Weisungen.“28
Max Horkheimer
Die Moral von der Geschicht? Man kann über diesen großen Philosophen denken was man will. Wir jedoch haben großen Respekt vor ihm. Er ist seinen Idealen und Werten treu geblieben und wendete sich immer gegen alles was den Anschein von Totalitarismus hatte. Als er 1936 die dunklen Wolken der faschistischen Diktatur sich immer weiter verdichten sah, vermutete er die Keimzelle für dieses Gewitter erst in der Familie. Nach näherem Hinsehen, und als das Unwetter abgezogen war, sah er: „diese Annahme ging fehl.“29 Horkheimer unterschied und er argumentierte nun für die Familie im eigentlich Sinn, für die „positiven, beschützenden Funktionen der Familie“30, in der Kinder „echte Beziehungen zu ihren Eltern besitzen“.31 Beziehungen in denen die Eltern da sind, auch um sich mit ihnen kritisch auseinandersetzen und im selbstständigen Denken reifen zu können.
Horkheimer schwenkt also krass um. 1936 dachte er noch, dass eine Familie ihre Mitglieder besonders empfänglich für Autorität machen würde. In der Gegenwart (1947/ 1949) sah Horkheimer das Zusammenspiel von Autorität und Familie völlig anders. Nun vertrat er die Auffassung, eine echte Familie mache ihre Mitglieder wohl eher gegen jegliche totalitären Auswüchse immun. In einer intakten bürgerlichen Familie sah Horkheimer nun den besten Schutz gegen Totalitarismus. Und um es auf den Punkt zu bringen:
1936 war für Horkheimer noch die Familie die Keimzelle des Faschismus. Nach näherer und eingängiger Betrachtung wurde für ihn jedoch die Familie die Keimzelle GEGEN jede Art von Faschismus.32
Chapeau an diesen konsequenten Denker.
[P.S. In den Fußnoten findet ihr noch ein paar weiterführende, vertiefende Zitate Horkheimers. Wer es noch irgendwie bekommt, dem empfehlen wir Horkheimers Beitrag von 1947/ 1949 (vgl. FN. 14) im Ganzen zu lesen. Und als Ergänzung empfehlen wir die Hinweise zur kritischen Theorie von Max Horkheimer Teil 1: Begriff der Autorität und Teil 2: Begriff der Familie]
Quellen: (zuletzt aufgerufen am 27.01.2023)
1: Horkheimer et al: Studien über Autorität und Familie, Copyright 1936 by Librairie Félix Alcan, Printed in France; Das Werk kann ebenfalls hier https://ia800504.us.archive.org/29/items/HorkheimerEtAlAutoritatUndFamilie/Horkheimer%20et%20al-%20Autorita%CC%88t%20und%20Familie_text.pdf online eingesehen werden.
2: ebd., Max Horkheimer, Autorität und Familie, S. 3-76; Oder ebenfalls hier zu finden: Max Horkheimer: „Autorität und Familie“, in: Gesammelte Schriften, Band 3: Schriften 1931–1936, Frankfurt a. M., 2. Auflage, 2009, S. 336-417
3: ebd., Vorwort Max Horkheimer, New York, im April 1935, S. VIII, Hervorheb. d. Autors; Siehe auch Vorwort S. XII: „Das Problem von Autorität und Familie gehört nicht in den Mittelpunkt der Theorie der Gesellschaft, doch mag es eine grössere Aufmerksamkeit verdienen, als sie ihm bisher zugewandt worden ist. In ihrer Bedeutung für die Autorität in der gegenwärtigen Gesellschaft hat die Familie stets einen zwischen materieller und geistiger Kultur vermittelnden Faktor gebildet und bei dem regelmässigen Ablauf und der Erneuerung des allgemeinen Lebens in der gegebenen historischen Form eine unvertretbare Rolle gespielt.“
5: Edward Thomas Williams zitiert nach Horkheimer et al: Studien über Autorität und Familie, Copyright 1936 by Librairie Félix Alcan, Printed in France, S. 17, Hervorheb. d. Autors
6: ebd., S. 57; Vgl. dazu ebd., S. 57f. „Mag er über den Vater wie auch immer denken: wenn er nicht schwere Versagungen und Konflikte heraufbeschwören will, muss er sich unterordnen und seine Zufriedenheit erwerben. Ihm gegenüber hat der Vater schliesslich immer recht, er ist die Darstellung von Macht und Erfolg, und die einzige Möglichkeit für den Sohn, in seinem Innern die Harmonie zwischen den Idealen und dem folgsamen Handeln aufrechtzuerhalten, die bis zum Abschluss der Pubertät des öfteren erschüttert wird, ist die Ausstattung des Vaters, das heisst des Starken und Vermögenden mit allen Qualitäten, die man als positive anerkennt.“ bzw. ebd., S. 58: „Weil nun die wirtschaftliche und erzieherische Leistung des Vaters für die Kinder in der Tat bei den gegebenen Verhältnissen unentbehrlich ist, weil in seiner erziehenden und verwaltenden Funktion, ja selbst in seiner Strenge bis zur Veränderung der Gesamtgesellschaft sich ein wirkliches gesellschaftliches Bedürfnis, wenn auch in problematischer Weise durchsetzt, so lässt sich auch in der Achtung seiner Kinder das rationale vom irrationalen Element nicht trennen, und es wird die Kindheit in der Klein-Familie zur Gewöhnung an eine Autorität, welche die Ausübung einer qualifizierten gesellschaftlichen Funktion mit der Macht über Menschen in undurchsichtiger Weise vereinigt.“
7: ebd., S. 61, Hervorheb. d. Autors
8: ebd., S. 50, Hervorheb. d. Autors
9: ebd., S.49, Hervorheb. d. Autors
10: ebd., S. 75, Hervorheb. d. Autors
11: ebd., S. 61, Hervorheb. d. Autors
12: ebd. Vorwort, Erster Satz,
13: Wolfgang Brezinka, die Pädagogik der neuen Linken: Analyse und Kritik, 6. verbesserte Auflage, 34.-40. Tsd. 1981, S. 124; Vgl. dazu https://theoblog.de/der-spaete-horkheimer-und-die-familie/26878/
14: Horkheimer Max, Autorität und Familie in der Gegenwart. In: Derbolav, Josef und Nicolin, Friedhelm (Hrsg.): Erkenntnis und Verantwortung, Festschrift für Theodor Litt, Düsseldorf, 1960, Pädagogischer Verlag Schwann, S. 152-167 | Ebenfalls abgedruckt ist der Beitrag in Max Horkheimer: „Autorität und Familie in der Gegenwart“, in: Gesammelte Schriften, Band 5: ‚Dialektik der Aufklärung‘ und Schriften 1940 – 1950, Frankfurt a. M., 1987, Fischer Verlag S. 377-395
15: vgl. ebd., S. 154
16: Horkheimer versteht unter diesen Veränderungen folgendes: Er schreibt (Horkheimer, 1947/ 1949, siehe FN. 14), dass „[d]er Erfolg des Unternehmens […] zu einem großen Teil auf der Solidarität der Familie“ beruhte. (S. 153) Interessanterweise bringt Horkheimer, wie schon 1936, zwar wieder das Beispiel der chinesichen Kultur doch dieses Mal akzentuiert er es anders: „Die chinesische Familie war weitgehend auf eine intensive Bearbeitung des Bodens angewiesen. Ihr gehörte ein kleines Stückchen Land, und sie entwickelte großes Geschick in seiner Nutzung. Erfahrung mit den Jahreszeiten, mit dem Ungeziefer und anderen Gefahren und mit den Möglichkeiten ihrer Verhütung unter den lokalen Verhältnissen – all das war um so wichtiger, als die soziale Umwelt jahrhundertelang relativ konstant blieb. Alte, freundschaftliche Beziehungen zu den Nachbarn, Vertrautheit mit den örtlichen Behörden und das Wissen um Art und Weise, wie man mit befreundeten und feindlichen Truppen umzugehen hatte, waren für einen Bauern von unschätzbarem Wert. Alter erwies sich dabei als Vorteil, und dem Vater zollt man daher aufrichtigen Respekt. […] Ist diese alte Struktur der Familie einmal durch die Industrialisierung, vor allem die Mechanisierung der Landwirtschaft, zerstört, dürften die Überlegenheit des Vaters und die Verehrungswürdigkeit hohen Alters ihre Bedeutung verlieren. Jene besondere Art des Wissens verliert ihren Gegenstand, und die negativen Züge des Alters werden deutlich hervortreten.“ (S. 155)
17: Horkheimer, 1947/ 1949, siehe FN. 14; S. 154
18: ebd.
19: ebd., S. 156f.
20: ebd., S. 157
21: ebd., S. 158, Hervorheb. d. Autors
22: ebd., S. 159
23: ebd., S. 158
24: ebd., S. 160
25: ebd., S. 167
26: vgl. ebd., S. 167
27: Helmut Gumnior, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen – Ein Interview mit Kommentar von Helmut Gumnior; 9.-16. Tausend Mai 1971; Furche Verlag, S. 30
28: Max Horkheimer, in „Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen – Ein Interview mit Kommentar von Helmut Gumnior“; 9.-16. Tausend Mai 1971; Furche Verlag, S. 79f.
29: Horkheimer, 1947/ 1949, siehe FN. 14, S. 166
29: ebd. 167; vgl. dazu „Autorität und Familie in der Gegenwart“ (1947/ 1949) Horkheimer untermauert hier seine Auffassung sogar mit Studien. Über diese schreibt er z.B.: „Zustäzliche Erkenntnisse über das komplexe Verhältnis von Familie und Gesellschaft lieferte eine andere Studie [er hatte bereits eine ausführlich zitiert], die sich auf die autoriätren Merkmale und Prädispositionen bei Kindern richtete. Die Resultate lassen vermuten, daß das Gesamtbild des autoritätsgebundenen Charakters sogar schon für Kinder von neun bis vierzehn Jahren gilt. In einem wichtigen Punkte widersprachen die vorläufigen Ergebnisse dieser Untersuchung jedoch in den Hypothesen, die aus der obenerwähnten Studie mit Erwachsenen abgeleitet worden waren. Man hatte angenommen, daß die Kinder, die sich bereitwillig der Disziplin des Elternhauses und der Schule unterwerfen, zugleich jene seien, die vorwiegend autoritäre Charakterzüge besitzen, während die rebellischen und widerspenstigen Kinder sich als entschieden anti-autoritär erweisen würden. Diese Annahme ging fehl. […] Die potentiellen Faschisten scheinen demnach jene zu sein, die in ihrer Kindheit eher roh, ungehobelt und ‚unkultiviert‘ waren. Ihr Mangel an echten familiären Beziehungen läst sie ihre Gefühle für Autorität, die sie früher erworben hatten, auf ihren ‚Gang‘ übertragen und deren Ehrenkodex von Tapferkeit und Gewalttätigkeit übernehmen, ohne daß sie irgendeinen moralischen Widerstand dagegen aufbrächten.“ (Horkheimer, 1947/ 1949, siehe FN. 14, S. 166, Hervorheb. d. Autors) Ähnliches hat auch Christa Meves (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin) beobachtet und bereits in „Manipulierte Maßlosigkeit“ (1972) beschrieben.
30: ebd., S. 161
31: vgl. ebd. S. 167: „Die Nationalsozialisten, die die hier [gem. ist Horkheimers Beitrag 1968; vgl: FN 14] aufgezeigten sozialen und psychologischen Mechanismen so schlau zu nutzen wußten, erkannten auch den inneren Widerspruch zwischen der Familie im echten Sinn und der barbarischen Welt, die sie vertraten. Obwohl sie in der Ideologie die Familie für eine Gesellschaft als unerlässlich priesen, die auf dem Grundsatz des ‚Besitzes‘ aufgebaut war, beargwöhnten und attackierten sie die Familie in der Realität als möglichen Schutz gegen die Massengesellschaft. Sie betrachteten sie als virtuellen Verschwörer gegen den totalitären Staat. Ihre Einstellung zur Familie ähnelt ihrer ambivalenten Politik gegenüber der Religion, dem freien Unternehmertum und dem Verfassungsstaat. Es erhebt sich die Frage, ob das komplizierte Zusammenspiel jener Kräfte etwas speziell Deutsches war oder ob sich hier eine allgemeine geschichtliche Tendenz ankündigt.“ (Hervorheb. d. Autors)
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Mom
WOW … sehr guter Artikel, Recherche und Ausführung … vielen Dank!