Lach- und Sachgeschichten trifft es vielleicht nicht ganz. Es wird vielleicht auch kein Beitrag mit der Maus. Aber es ist der ganz normale politische, genau, Streit um den Abtreibungs-§218. Ein Streit mit viel Empörung und monumentalen Aussagen. Bis zur nächsten Wahl zumindest. Denn, „was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“1
Carmen ist sich sicher
In dieser Woche soll, und wird2, der Bundestag über den „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“3 debattieren. Carmen Wegge (SPD) war neben Ulle Schauws, eine der Hauptinitiatorinnen. Auf ihrer Internetseite wird sie wie folgt zitiert: „Der Schutz des ungeborenen Lebens ist in der Verfassung verankert. Ein erschwerter Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen erfüllt dieses Ziel jedoch nicht. Im Gegenteil: Es führt nicht unbedingt zu weniger-, sondern kann zu medizinisch unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen führen. Ungewollt Schwangere brauchen ausreichenden Zugang zu bestmöglicher Information und bestmöglicher medizinischer Versorgung. Dass wir in dieser Hinsicht in Deutschland bereits einen gravierenden und sich weiter zuspitzenden Mangel haben, ist schlicht nicht tragbar. Ungewollt Schwangere befinden sich oft in belastenden Situationen. Deshalb werbe ich bei allen Abgeordneten der demokratischen Fraktionen im Deutschen Bundestag für die Unterstützung dieses Antrags.“4 Mittlerweile sind es wohl schon 327 Abgeordnete.5
Wegge sagte diese Woche, u.a. berichtete Zeit.online, dass sie und ihre Gruppe das Recht hätten, in dieser Woche die erste Lesung ihres Gesetzentwurfs zu haben. „Von diesem Recht wollen wir Gebrauch machen“, so Wegge. Und weiter, sagte sie „wir haben gute und konstruktive Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP. Es gibt viele in der Partei, aber auch in der Fraktion, die eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs befürworten.“6
Schauen wir mal. Am Donnerstag, 05.12.2024, steht das Thema jedenfalls von 17:35 – 18:55 Uhr auf der Tagesordnung.7
Friedrich scheinbar nicht
Friedrich Merz hatte vor rund zwei Wochen vor der Presse davon gesprochen, dass seine Fraktion es mit größtem Befremden zur Kenntnis nehme, dass in den letzten Wochen dieser Wahlperiode einen Gruppenantrag aus der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bezüglich des §218 gegeben hat.8 Er schien nicht nur entsetzt darüber, dass dieses Thema, „das wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen, weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen“9 sondern, „Ich bin wirklich entsetzt darüber, dass derselbe Bundeskanzler, der immer wieder vom Zusammenhalt, vom Unterhaken und vom Gemeinsinn spricht, mit auf der Liste dieses Gruppenantrages mit seiner Unterschrift erscheint, den §218 jetzt noch im Schnellverfahren zum Ende der Wahlperiode abzuschaffen. Das ist skandlös was der Bundeskanzler da macht“.10
Merz weiter: „Wenn wir über dieses Thema reden, dann brauchen wir dafür Zeit, dann brauchen wir dazu auch Gutachten, was verfassungsrechtlich zulässig ist. Dies ist eine Art Affront gegen auch die Mehrheit der Bevölkerung, die das nicht will“.11
Was die Mehrheit der Bevölkerung will, hofft Merz klar zu sein. Was wiederum der Friedrich will, ist, ohne zynisch klingen zu wollen, der Mehrheit der Bevölkerung nicht wirklich klar.
Jüngst zeigte sich der Kanzlerkandidat der Union in einem Interview mit „Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft“ sowie der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ offen für Diskussionen über den §218. Große Teile der Welt würden die Deutschen um diesen mühsam Kompromiss bei dem Thema beneiden und es sei doch eine kluge Regelung gewesen. Aber angesprochen auf den heraufbeschworenen Großkonflikt und die vermeintlich, plötzliche, statistische Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung doch die sog. Entkirminalisierung wünsche (da kommen wir noch drauf) sagte Merz, dass man „natürlich […] nach so vielen Jahren [sich] noch einmal neu mit dem Thema beschäftigten [kann]. Wir sehen ja, dass es auch da einen gesellschaftspolitischen Wandel gibt. Ich bin selbstverständlich offen, darüber zu diskutieren, aber doch bitte nicht auf den letzten Metern vor der Wahl, ohne eine breite parlamentarisch und gesellschaftlich geführte Debatte.“12
Merz größte Sorge: „SPD und Grüne wollen mit dem Abtreibungsrecht im Wahlkampf die Bevölkerung spalten.“13 Meine größte Sorge ist jedoch, dass Abtreibung einen Menschen spaltet. In mehrere Teile.
Richtig schlau werde ich aus dem Mann nicht. So richtig überzeugt scheint er nur davon, dass er das Thema im Wahlkampf nicht gebrauchen kann. Hmm, schreibt sich komisch doppeldeutig, der Satz. Den hat er zwar so nicht gesagt, keine Frage. Aber Merz macht den Eindruck, dass er sich seiner Position zum eigentlichen Thema, §218 Schwangerschaftsabbruch, nicht sicher ist. Oder es nicht sein will.
Vielleicht eher unbedeutend, aber das kam mir in den Sinn: „Als nun Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern dass vielmehr ein Aufruhr entstand, nahm er Wasser und wusch sich vor der Volksmenge die Hände und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; seht ihr zu!“14
Da stehe ich dann doch ausnahmsweise auf Carmen Wegge’s Seite: „Ich kann Herrn Merz nicht ernst nehmen […] Zuerst fordert er Olaf Scholz und die SPD-Fraktionsmitglieder auf, ihre Unterschrift für den Gesetzentwurf zurückzuziehen und jetzt will er auf einmal doch darüber reden?“15
Tino ist unentschlossen
Diesen Titel mit seinem Original Beitrag zu unterfüttern verbietet mir leider die Zeit.Online Bezahlschranke.16 Deshalb beziehe ich mich auf den Artikel von Corrigenda.online.17 So schreiben sie, dass es in dem Beitrag der Zeit heißen soll, dass „Auch bei der Selbstbestimmung […] die Partei [gem. AfD] nachsteuern [will]: So soll etwa Schwangerschaftsabbruch im Wahlprogramm nicht mehr verteufelt werden.“18
Lukas Steinwandter berichtet, dass es bei den jüngsten Zusammenkünften laut übereinstimmenden Teilnehmerschilderungen gegenüber Corrigenda lange und intensive Diskussionen über das Familienbild und die Position zur Abtreibung gegeben habe. Initiiert worden seien „die Debatten von Co-Parteichef-Tino Chrupalla. Er gab demnach zu bedenken, dass eine Betonung des traditionellen Familienbildes die mögliche Kanzlerkandidatin Alice Weidel beschädigen könne. Weidel ist lesbisch und lebt mit einer Frau mit srilankischen Wurzeln in einer eingetragenen Partnerschaft und zieht mit ihr zwei Söhne groß. Mit Blick auf die Lebensschutzforderungen der AfD führte Chrupalla demnach die Wählerschaft in den östlichen Bundesländern ins Feld. In der DDR wurde Abtreibung als gewöhnliche Gesundheitsdienstleistung gehandhabt und aufgrund der mangelnden Religiosität sind die Menschen dort tendenziell eher für das ‚Recht auf Abtreibung‘.“19
Steinwandter glaubt nicht so recht, dass Chrupalla „nur strategisch-pragmatisch denke“. In der Vergangenheit hätte er sich als Parteichef auch entgegen dem Parteiprogramm geäußert. „So sagte er gegenüber der ARD, er sei für die ‚Ehe für alle‘ und die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare. Außerdem tat er Abtreibung als ‚Privatsache‘ der Eltern ab.“20 Wir dürfen gespannt sein. Objektiv betrachtet, sind die einzigen, die diesbezüglich ihr Geschwätz von gestern kümmert und die straight bei ihrer Linie bleiben, Wegge und Co. Auch wenn diese Linie für uns eine klar rote ist. Aber warum bei den anderen, beim Schwangerschaftsabbruch, dieses wahlkämpferische taktiere?
Die Umfragen sind fragwürdig
„Warum gerade bei Abtreibungs-Umfragen Zweifel angebracht sind“, titelte ebenfalls Corrigenda.online am 30.11.2024 und führt aus: „Rot-grüne Politiker jubeln: Umfragen würden belegen, dass eine große Mehrheit ihre Forderung nach einer Legalisierung von Abtreibung teile. Ist dem wirklich so? Die Umfragen weisen große Schwächen auf – und sind teils irreführend.“21 Diesen Artikel wollen wir hier gar nicht weiter zitieren, sondern ihn euch einfach zum lesen sehr empfehlen. Nur soviel: Es beweist sich wieder, dass man mit Statistiken zaubern kann.
Quellen:
Bilder: Titelbild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Velbert_-Ein_Tag_Live_in_Velbert-_Andr%C3%A9_Gatzke_03_ies.jpg; Carmen Wegge: https://www.carmen-wegge.de/presse/pressebilder/; Friedrich Merz: https://www.friedrich-merz.de/#presse; Tino Chrupalla: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Tino_Chrupalla#/media/File:Tino_Chrupalla,2020.jpg; Statistik_Laptop: https://unsplash.com/photos/person-using-macbook-air-FVwG5OzPuzo?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash
1 „Dieser Satz wird Konrad Adenauer zugeschrieben.“ https://www.deutschlandfunk.de/beim-wort-genommen-100.html#:~:text=%E2%80%9EWas%20k%C3%BCmmert%20mich%20mein%20Geschw%C3%A4tz,also%20nach%20der%20Wahl%20%E2%80%93%20brechen, Zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
2 https://www.bundestag.de/resource/blob/473454/4984d5f70c9efd92c624557dec9763dd/Ablaufplan-kommende-Woche.pdf, zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
3 https://dserver.bundestag.de/btd/20/137/2013775.pdf, zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
4 https://www.carmen-wegge.de/2024/11/15/fraktionsuebergreifende-gruppe-von-236-bundestagsabgeordneten-will-neuregelung-von-schwangerschaftsabbruechen/, zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
5 Siehe https://www.pro-medienmagazin.de/mehr-als-300-abgeordnete-unterstuetzen-antrag-zu-abtreibungen/, zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
6 Siehe und vgl. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-12/schwangerschaftsabbrueche-reform-entkriminalisierung-paragraf-218-vorstoss-bundestag, zueletzt aufgerufen am 03.12.2024.
7 https://www.bundestag.de/resource/blob/473454/4984d5f70c9efd92c624557dec9763dd/Ablaufplan-kommende-Woche.pdf, zuletzt aufgerufen am 05.12.2024.
8 Siehe https://www.youtube.com/watch?t=251&v=gRxcT5HNZ1o&feature=youtu.be.
9 ebd.
10 ebd.
11 ebd.
12 https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kanzlerkandidat-der-union-friedrich-merz-man-kann-den-menschen-durchaus-etwas-zumuten.c3fcbf20-5f1a-42cd-bad2-30622b0f6d27.html. Zuletzt aufgerufen am 03.12.2024
13 ebd.
14 Die Bibel, Matthäusevangelium, Kapitel 27 Vers 24, Schlachter 2000, https://www.bibleserver.com/SLT/Matth%C3%A4us27%2C24.
15 https://www.rnd.de/politik/paragraf-218-strafbarkeit-von-abtreibungen-diese-woche-thema-im-bundestag-J3B364KF7BB5XPOSRXEWF44SDE.html, zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
16 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-11/afd-bundestagswahlkampf-alice-weidel-mehr-frauen-migranten-jugendliche-dexit, zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
17 https://www.corrigenda.online/politik/debatte-um-wahlprogramm-kippt-die-afd-bei-familienpolitik-und-lebensschutz-um, zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
18 ebd.
19 ebd.
20 ebd.
21 https://www.corrigenda.online/leben/paragraf-218-stgb-warum-gerade-bei-abtreibungs-umfragen-zweifel-angebracht-sind, zuletzt aufgerufen am 03.12.2024.
Ela
Carmen mensch! Was meinen sie denn, wie es zu den Abtreibungszahlen kommt? Jährlich eine Großstadt!
Ela
„Meine größte Sorge ist jedoch, dass Abtreibung einen Menschen spaltet. In mehrere Teile.“
Sehr gut formuliert 👍🏻
Danke für die ℹ️