Das war sie nun, die Debatte um den „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“1 Welche Worte könnten sie wohl am Besten beschreiben: Aufschlussreich? Kämpferisch? (Un)Angemessen? Entlarvend? Nüchtern? Realitätsfern? Ewig-Gestrig? Zeitschindend? Modern? Schauen wir mal:
Carmen Wegge, neben Ulle Schauws eine der Haupt-Initiatorinnen des Entwurfs, ritt mit einem Fanfarenstoß in die Debatte, so als wäre sie eine blau geschminkte, schottische Freiheitskämpferin, die das Ende der elenden Schreckensherrschaft des unsäglichen Tyrannen namens §218 verkünde: „Heute ist ein guter Tag für Frauen. Heute ist ein guter Tag für Ärztinnen und Ärzte. Heute ist ein guter Tag für die Frauen und Männer, die seit Jahrzehnten darum kämpfen, dass wir genau diese Debatte hier im Plenum des deutschen Bundestages führen. Jetzt ist es soweit!“2 Jetzt sei eine Sternstunde des Parlaments, so Wegge.
Neben ihr (st)ritt Ulle Schauws, die den §218 im Strafgesetzbuch als zutiefst patriarchal geiselte.3 Diese 153 jährige Kriminalisierung der Frau solle nun ein Ende in dem vorgelegten Entwurf finden.
Leni Breymaier sprach zwar nicht ganz so martialisch wie ihre beiden Mit(st)reiterinnen, aber mit desto größerer Unklarheit. Breymaier sprach von einem „minimalinvasiven Eingriff, minimalinvasiven Eingriff, in die Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland.“4 Das denken wir uns nicht aus. Das hat die Frau wirklich so wiederholt. Breymaier war es auch, die davon sprach, dass keine Verhütungsmethode hundertprozentig sicher sei und verkaufte damit Abtreibung indirekt als eine quasi Back-Up Verhütungsmethode. Dies offenbart sehr deutlich, dass von einigen Parlamentariern Abtreibung scheinbar als eine Form der Familienplanung gesehen wird. Damit wird irgendwie das fehlende Kondom vorm Sex und der erschwerte Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nach dem Sex auf eine Stufe gehoben.
Sonja Eichwede sprach u.a. davon, dass der vorgelegte Entwurf ja noch ein „Minimalkonsens [sei], grade um auf sie als konservative Fraktion zuzugehen.“5 Klingt das nur so, als wollten die dafür jetzt auch noch ein „Dankeschön“? Geschenkt.
Unseren persönlichen Paukenschlag setzte dann Heidi Reichinnek. Etwas flapsig, Poetry Slamerisch fragte sie sich „ob Ihnen eigentlich bewusst ist, dass wir im Osten dieses Landes schon mal deutlich weiter waren. In der DDR waren Schwangerschaftsabbrüche nämlich nicht kriminalisiert.“6 Puh. Für Frau Reichinnek gab es also auch gutes und zurück wünschenswertes unterm diktatorischen Hammer-und-Sichel-Regime? Wir bezeifeln’s. Aber dieser Gedankengang ist nicht neu und uns schon früher begegnet.7
Was kam immer wieder?
Z.b. die Umfrage, die Corrigenda.online schon näher unter die Lupe der Glaubwürdigkeit genommen hat.8 Ominöse 80% der deutschen Bevölkerung wären für eine Abschaffung des §218 aus dem Strafgesetzbuch und für eine außerstrafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. 80%! Habt ihr verstanden? 80%!? ‚Hmmm, gleich, gleich, wir lesen kurz noch den Corrigenda Artikel zu Ende.‘
Außerdem sei der §218 allein dafür verantwortlich, dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte Abtreibungen durchführen (wollen). Er führe zu einen riesen großen Versorungsengpass, der auf uns zu käme. Bei gleichzeitiger Unwirksamkeit auf die Abtreibungszahlen. Knoten im Kopf? Nein, so wurde tatsächlich argumentiert: Der §218 verhindert nicht die Abtreibungen, diese steigen eh, aber er vergraule die Ärzte. Hat schon mal jemand auch nur eine Sekunde an das Selbstbestimmungsrecht von Ärzten gedacht? Vielleicht wollen die das ja gar nicht (mehr) machen? Die strafrechtliche Regelung und der mit ihr ‚unmissverständlich‘ in Verbindung gebrachte Engpass, führe auch dazu, dass nicht gesamt Deutschland den gleichen geografischen Zugang bzw. Entfernung zu einer Einrichtung hat. In manchen Regionen überschritte der Abstand zur nächsten Klinik eine zumutbare Entfernung. Gilt das im Zuge der Klinikschließungen und Zentralisierungen im Gesundheitswesen wirklich nur und ausschließlich für Schwangerschaftsabbrüche? Klagen nicht viele alte Menschen, um nur ein Beispiel zu nennen, über die mangelnde augenärztliche Versorgung? Pulmologen in ländlichen Gebieten? Hausärzte auf dem Land? Ist diese kilometerweit entfernte Klinik nicht ein allgemeines Problem des Gesundheitswesens? Nur so ’ne Vermutung.
Das der §218 zu unsicheren Abtreibungen führen würde war auch ein immer wieder gern hervor gezogener Kalauer. Warum wir über diese bewusst geschürte Angst-Satire aber wenig schmunzeln können, erfahrt ihr u.a. in diesem Beitrag: „Sterben an illegaler Abtreibung“.
Was war positiv?
Elisabeth Winkelmeier-Becker mahnte nach Wegge’s Fanfahrenritt: „Es geht um Leben und Tod – und davon habe ich bei Ihnen nichts gehört“ und stellte entlarvend fest, dass es „bei circa 100.000 Abbrüchen pro Jahr […] keine Verfahren gegen Schwangere oder Ärzte [gibt], das verschweigen Sie hier“ indem Wegge und Co immer wieder auf der Kirminaliserung von Frauen herum ritten.9
Dorothee Bär war ebenfalls über Wegge’s Ton erschüttert und zeigte sich schockiert, dass „weder SPD noch Grüne […] mit einem einzigen Wort das Kind erwähnt“ haben. „Und was mich auch nervt an ihren Argumenten“, sagte Bär, „ist dieses ständige wir haben uns weiter entwickelt, wir sind jetzt modern. Lebensschutz ist nicht unmodern. Lebensschutz ist auch im Jahr 2024 etwas, was nichts mit Modernität zu tun hat.“10 Vielleicht meinten die Antragstellerinnen ja auch, dass der Entwurf nicht modern, sondern irgendwie doch mordern sei. Was meinen Sie Frau Bär?
Beatrix von Storch verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem es heißt, so von Storch: „der Schwangerschaftsabbruch ‚muss‘ für die Ganze Dauer der Schwangerschaft als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein. Dieses ‚muss‘ ist eindeutig. Völlig eindeutig. Das Gericht begründet das mit Artikel 1 Grundgesetz.“ Der Entwurf sah nämlich vor, Schwangerschaftsabbrüche im ersten Drittel der Schwangerschaft als rechtmäßig anzuerkennen. Damit stehe der Entwurf im „krassen Gegensatz“ zum zitierten Urteil und „Sie wissen das“ stellte von Storch klar.11
Auch ihre Kollegin Christina Baum wählte klare Worte: „Eine Schwangerschaft ist kein Nachteil, sondern ein einzigartiges Privileg von Frauen“, sagte sie und es gebe „kein größeres Glück, als das kleine Lebewesen, das im Bauch heranwächst, zu spüren und nach der Geburt im Arm zu halten“. Baum weiter„Für uns als AfD sind Kinder ein Geschenk und deshalb werden wir eine Willkommenskultur für Kinder etablieren.“12
Einen der interessantesten Gedanken brachte Susanne Hierl in die Runde. Sie fragte vor dem Hintergrund, dass sich die viel zitierte, von der Bundesregierung eingesetze Kommission auch mit Eizellspende und Leihmutterschaft beschäftigt hatte, ob der vorliegende Gesetzentwurf die Vorbereitung auf das sei „was uns in Zukunft erwartet. Am Ende vielleicht die Kommerzialisierung der Mutterschaft.“13 Ein sehr bemerkenswert weitblickender Gedankengang.
Außerdem wurde immer wieder betont, dass die geregelte dreitägige Beratungszeit, die der Entwurf streichen will, gerade für die Frauen da sei. Sie soll ihnen helfen über das Beratene in Ruhe zu reflektieren, um dann, nach reiflicher Überlegung, eine Entscheidung treffen zu können, an der sie später nicht reuevoll zu Grunde gehen. Die Abschaffung der Wartefrist provoziere nur Schnellschuss-Entscheidungen und verstärkt, so unsere Einschätzung, nur den möglichen Einfluss und Macht drängender Dritter.
Was gibt es sonst noch zu sagen?
Seht es uns bitte nach, dass wir hier nicht auf jede Rede eingehen. Das würden wir jedem seinem eigenen Belieben überlassen.
Auffällig war jedoch, dass einige Abgeordnete eher auf Zeit spielen und das Thema lieber in der nächsten Legislaturperiode debattieren wollten. Das wurde auch mitunter heftig von den Befürworterinnen des Entwurfs kritisiert. Wieviel Zeit man denn noch bräuchte, wenn doch schon seit Generationen um die Abschaffung des §218 gekämpft würde. Ja stimmt. Sehen wir auch so. Es braucht nicht mehr Zeit. Dieses Argument ist sehr kläglich und schwach. Es braucht endlich, und immer wieder, ein zeitloses, festes Ja zum Lebenschutz, zum Lebensrecht des ungeborenen Menschen und dessen Menschenwürde ab der Zeugung. Es braucht nicht mehr Zeit um festzustellen, dass der Mensch sich ab seiner Zeugung als Mensch entwickelt, sondern es braucht die klare, unmissverständliche Position dazu. Nein heißt Nein! Andererseits werfen wir sonst diesen Entwurf nur wie einen Bumerang in den nächst-gewählten Bundestag, und damit uns selber wieder an den Kopf. Da kann man dann nicht mehr das „zu wenig Zeit für ausgewogene, gesellschaftliche Debatten“ Argument vorbringen, sondern muss auf diese Gretchenfrage eine Antwort haben!!!
Gehen wir also nicht mit der Zeit, sondern stehen bei den Fakten.
Wie geht es nun weiter?
Lukas Steinwandter von Corrigenda.Online berichtete heute Abend (Donnerstag, 05.12.2024) über „absurde Szenen, die sich im Rechtsausschuss des Bundestags abgespielt haben. Durch ihr Abstimmungsverhalten haben SPD und Grüne der Neuregelung der Abtreibung in dieser Legislatur de facto ein Ende bereitet.“ In seinem Artikel „Dank Abstimmungsverhalten von SPD und Grünen: Paragraf 218 bleibt unverändert“ findet ihr eine sehr erstaunliche Erklärung!
Quellen: Titelbild: https://unsplash.com/photos/a-building-with-a-flag-on-top-of-it-PClTY6wBmDI?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash.
1 https://dserver.bundestag.de/btd/20/137/2013775.pdf; Zuletzt aufgerufen am 05.12.2024.
2 Carmen Wegge, am 05.12.2024, ca. 16:35 Uhr, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618841#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODQx&mod=mediathek.
3 Siehe Ulle Schauws, am 05.12.2024, ca. 16:47 Uhr, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618843#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODQz&mod=mediathek.
4 Leni Breymaier, am 05.12.2024, ca. 17:00 Uhr https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618846#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODQ2&mod=mediathek.
5 Sonja Eichwede, am 05.12.2024, ca. 17:40 Uhr, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618856#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODU2&mod=mediathek.
6 Heidi Reichinnek, am 05.12.2024, ca. 17:47 Uhr, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618859#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODU5&mod=mediathek
7 Siehe https://youngandfree-kaleb.de/deutsche-einheit/.
8 https://www.corrigenda.online/leben/paragraf-218-stgb-warum-gerade-bei-abtreibungs-umfragen-zweifel-angebracht-sind, zuletzt aufgerufen am 05.12.2024.
9 Elisabeth Winkelmeier-Becker, am 05.12.2024, ca. 16:41 Uhr https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618842#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODQy&mod=mediathek.
10 Dorothee Bär, am 05.12.2024, ca. 17:03 Uhr, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618847#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODQ3&mod=mediathek.
11 Beatrix von Storch, am 05.12.2024, ca. 16:56 Uhr, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618845#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODQ1&mod=mediathek.
12 Christina Baum, am 05.12.2024, ca. 17:23 Uhr, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618852#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODUy&mod=mediathek.
13 Susanne Hierl, am 05.12.2024, ca. 17:42 Uhr, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7618857#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjE4ODU3&mod=mediathek.
ela
Dieser Sonja Eichwede möchte ich als MUTTER von 3 Kindern sagen: Auch ich kämpfe seit 30 !!! Jahren um das uneingeschränkte Lebensrecht der Kinder „unter der Bauchdecke“.
Wir sind in keiner moderneren Zeit, sondern in einer egoistischeren und dekadenten Zeit!
Ihre Rede beweist das.