Bis vor kurzem gab es in Deutschland keine offizielle Leitlinie zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs. Seit Ende Januar jedoch existiert sie, die sog. Leitlinie „Schwangerschaftsabbruch im 1. Trimenon“ (S2k-Leitlinie)1. Wir haben uns das mal angeschaut und sind vor allem bei den ethischen Aspekten zusammengezuckt.
Allgemeines
Aber der Reihe nach. An der Leitlinie „[m]itgewirkt haben u. a. die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und derBerufsverband der Frauenärzte (BVF), aber auch die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und die Akademie Ethik in der Medizin (AEM). In der Leitliniengruppe befinden sich auch die Bundesverbände Donum Vitae und Pro Familia, – beides anerkannte Beratungsstellen.“2
Die Leitlinie, angefüllt mit 214 Literaturverweisen auf 140 Seiten, besagt, dass sowohl der medikamentöse als auch der chirurgische Schwangerschaftsabbruch mittels Vakuumaspiration sichere medizinische Behandlungen seien und ernste Komplikationen dabei selten wären.
„Die Autorinnen und Autoren der Leitlinie empfehlen beide Methoden als gleichwertig: Jede Frau sollte nach Aufklärung selbst entscheiden können, welche Methode sie wählt“, fasst aerzteblatt.de3 zusammen.
Diese Empfehlungen richten sich vor allem an Ärztinnen und Ärzte, die selbst Schwangerschaftsabbrüche durchführen, und an jene Professionen, die an der Beratung und Betreuung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollen, beteiligt sind.
Ethische Aspekte
Aber für alle diese, im Schwangerschaftsabbruch involvierten Menschen findet die neue Leitlinie lediglich folgende ethischen Aspekte:
„Angesichts der Pluralität unterschiedlicher Positionen zum moralischen Status des ungeborenen Lebens ist in modernen Gesellschaften keine Einigkeit bei der ethischen Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs zu erwarten.
Die aktuelle rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ist deshalb auch nicht Ausdruck einer in der Gesellschaft allseits geteilten ethischen Bewertung. Vielmehr handelt es sich um einen politischen Kompromiss, der mit verschiedenen ethischen Grundpositionen vereinbar ist und verlässliche Rahmenbedingungen schafft um in der Praxis mit den verschiedenen Herausforderungen des Schwangerschaftsabbruchs angemessen umgehen zu können.„4
[Uns würde kurz interessieren welche Herausforderungen hier gemeint sind. Aber das nur nebenbei.]
Weiter heißt es, dass es in dieser Leitlinie „vor allem um die sichere Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb des ersten Trimenons [geht]. In dieser Phase der Schwangerschaft werden die Gründe der Schwangeren nicht geprüft [Einspruch! Siehe Fußnote 5]. Der Schwangerschaftsabbruch bleibt vielmehr straffrei, wenn er auf Wunsch der Schwangeren, nach Beratung durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle, durch einen Arzt bzw. eine Ärztin durchgeführt wird. Die Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs im Einzelfall ist folglich auch nicht Gegenstand der vorliegenden Leitlinie. […] Die ethischen Verpflichtungen des beteiligten Gesundheitspersonals beziehen sich damit vor allem auf die angemessene Beratung und Unterstützung der betroffenen Schwangeren (und ggf. ihrem Partner) in einer schwierigen Entscheidungssituation und die sichere Durchführung des Schwangerschafsabbruchs.“6
Uns erinnert das ein bisschen an folgende Begebenheit, die wir ein bisschen freier übertragen wollen: „Als nun der Gesetzgeber, Richter und die Autoren sahen, dass sie nichts ausrichteten, sondern dass vielmehr ein Aufruhr entstand, nahmen sie Wasser und wuschen sich vor der Volksmenge die Hände in der Leitlinie und sprachen: Wir sind unschuldig an dem Blut dieses unschuldigen Embryo; seht ihr zu!“7 Damit aber war die Würde des Menschen unantastbar.
Dr. med. Petra Brandt schreibt auf DocCheck.com: „Der moralische Status des Ungeborenen liegt im Auge des Betrachters. Die Erkenntnis, ab wann menschliches Leben beginnt und als schützenswert gilt, wird unterschiedlich beurteilt. Deshalb sehen die Autoren der Leitlinie in der derzeit geltenden rechtlichen Regelung einen politischen Kompromiss und keine in der Gesellschaft allseits geteilte ethische Bewertung.“8
[Durchdekliniert würde das heißen: Der Ungeborene ist per Biologie ein Mensch. Nach dieser Leitlinie läge in der letzten Konsequenz der moralische Status des Menschen im Auge des Betrachters. Na Prost Mahlzeit.]
Sondervotum für den ungeborenen Menschen
Etwas überraschend steht dann plötzlich „Sondervotum donum vitae“ im Text.
„Diese Einordnung [gemeint sind die bisher genannten Ausführungen] hält der mitzeichnende Verband und Träger von Schwangerschaftsberatungsstellen donum vitae für irreführund. Bei der aktuellen rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs handelt es sich vielmehr um einen politischen Kompromiss auf Grundlage der im Grundgesetz verankerten Grundrechte und Werte. (vgl. BVerfGE 39, 1).“9
Außerdem verweist donum vitae in „der Frage, ob dem ungeborenen menschlichen Leben bereits Würdeschutz zukommt“9 auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
„Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität […] Jedenfalls in der so bestimmten Zeit der Schwangerschaft handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozess des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt.“ (BVerfGE 88, 203).10
Menschenwürde liegt nun im Auge des Betrachters?
Auffällig ist, dass in der S2k-Leitlinie (Schwangerschaftsabbruch im 1. Trimenon) im Abschnitt der ethischen Aspekte nicht einmal vom „Embryo“ die Rede ist. Es bzw. Er ist der moralische Status des ungebornen Lebens. Interessant. Man erkennt zumindest an, dass es sich um Leben handelt. Ab wann es menschliches Leben ist, das weiß scheinbar keiner so recht.
Vielleicht durchläuft der Embryo ja erst nochmal alle Stationen der Evolution? Vielleicht wird dieses „ungeborene Leben“ ja erst zum Fisch und dann zum Salamander, zur Schildkröte, zum Huhn, zum Schwein, zum Kalb, zum Hasen und dann schlussendlich zum Menschen.11 Wenn er nach dieser wundersamen Reise durch das Tierreich endlich Mensch ist, dann steht er auch schon kurz vor der Geburt. Da wäre die ethische Beurteilung auch endlich einfacher.
Die Sache hat aber auch etwas Gutes: Die Ärztinnen und Ärzte dürfen wirklich selber über den moralischen Status des Embryo entscheiden? Was, wenn sie alle sagen, dass es ein Mensch von Anfang an ist? Was, wenn Schwangerschaftsabbrüche völlig legal sind, aber keine/r will sie durchführen (lassen)?
#Abtreibungundenkbarmachen
P.S. Hast du schon Menschenwürdige Augenwischerei gelesen? Und falls du noch Fragen hast wann das Leben beginnt findest du hier Antworten.
Quellen, zuletzt aufgerufen am 23.02.2023
1: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Leitlinienprogramm Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon, AWMF-Registernummer 015-094, Leitlinienklasse S2k, Stand Dezember 2022, Version 1.0, https://register.awmf.org/assets/guidelines/015-094l_S2k_Schwangerschaftsabbruch-im-ersten-Trimenon_2023-01.pdf
2: Dr. med. Petra Brandt, Abtreibung: Ab jetzt nach Leitlinie, auf https://www.doccheck.com/de/detail/articles/41901-abtreibung-ab-jetzt-nach-leitlinie
3: aerzteblatt.de, Erste deutsche Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch erschienen, Donnerstag, 26. Januar 2023, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/140533/Erste-deutsche-Leitlinie-zum-Schwangerschaftsabbruch-erschienen
4: Leitlinienprogramm Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon, siehe Fußnote 1, S. 46 von 140, Hervorheb. d. Autors
5: Das Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz – SchKG) besagt in §5 Absatz 1: „Die Beratung umfaßt: 1. das Eintreten in eine Konfliktberatung; dazu wird erwartet, daß die schwangere Frau der sie beratenden Person die Gründe mitteilt, derentwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt; der Beratungscharakter schließt aus, daß die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren Frau erzwungen wird“ Ja, die Gründe werden nicht geprüft, aber der Satz in der Leitlinie dehnt doch schon ganz schön den Gesetzestext und hinterlässt ein komisches Gefühl.
6: ebd., S. 46f. von 140, Hervorheb. und Anmerkung d. Autors
7: Die Bibel, Matthäus Evangelium, Kapitel 27 Vers 24: „Als nun Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern dass vielmehr ein Aufruhr entstand, nahm er Wasser und wusch sich vor der Volksmenge die Hände und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; seht ihr zu!“ (Schlachter 2000 Übersetzung) https://www.bibleserver.com/SLT/Matth%C3%A4us27%2C24
8: Dr. med. Petra Brandt, Abtreibung: Ab jetzt nach Leitlinie, auf https://www.doccheck.com/de/detail/articles/41901-abtreibung-ab-jetzt-nach-leitlinie
9: Leitlinienprogramm Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon, siehe Fußnote 1, S. 46 von 140, Anmerk. d. Autors
10: BVerfGE 88, 203 (251), nachzulesen hier https://groups.csail.mit.edu/mac/users/rauch/nvp/roe/bv088203_nonav.html
11: vgl.: Biogenetische Grundregel, Ernst Haeckel, https://de.wikipedia.org/wiki/Biogenetische_Grundregel
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