Im Entwurfstext (Drucksache 20/13775), welcher dem Bundestag am 14.11.2024 vorgelegt wurde, steht u.a. dass die „Schutzpflicht […] den Staat, nicht die Schwangere“ adressiert1 Denn, so heißt es an anderer Stelle, „[d]ie Grundrechte der Schwangeren setzen staatlichem Handeln Grenzen.“2 Die straftrechtliche Sanktion des Schwangerschaftsabbruchs wird als Eingriff in diese Grundrechte gesehen, derer „es gewichtiger Gründe“3 bedarf. Dem vorangestellt gilt, dass „[e]in Eingriff in die Menschenwürde Schwangerer […] – wie bei jedem Eingriff in die als ‚unantastbar‘ bezeichnete Menschenwürde (Artikel 1 Absatz 1 GG) – in keinem Fall zu rechtfertigen [ist]“.4 Darum soll der „aktuell bestehende Straftatbestand ‚Schwangerschaftsabbruch‘ […] insgesamt aufgehoben [werden],“5 damit sichergestellt werden kann, „dass der Staat bei der Umsetzung seiner Schutzpflichten die Grundrechte der Schwangeren achtet.“6 Somit gestalte nun der „Gesetzentwurf […] die Schutzpflicht des Staates zugunsten des ungeborenen menschlichen Lebens im Respekt vor den Grundrechten der betroffen Schwangeren aus.“7 Deswegen diene die Schwangerschaftskonfliktberatung nun nicht mehr nur „ausdrücklich dem ‚Schutz des ungeborenen Lebens‘ und soll [nicht mehr] von dem Bemühen geleitet sein, ‚die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen‘ (§ 219 StGB Abs 1)“8, sondern „dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Gesundheit und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau“9
Das Individdum, im dem Fall die einzelne Frau, wird grundrechtlich gegen staatliche Eingriffe geschützt. Die aktuelle generalpräventive Signalwirkung jedoch, welche die Strafnorm als ein Kommunikationsakt an die Gesellschaft über das sozial-ethische Unwerturteil hat, wie es auch im Entwurfstext treffend festgestellt wird, soll nur noch für Dritte gelten, nicht mehr für die gesamte Bevölkerung.10 Das neue Signal soll als oberste Priorität die Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrecht der Frau senden.
Die Prämisse dieser Überlegungen, welche auch das „und“ im neuen Ziel der Konlfiktberatung begründen würde, findet sich vermutlich auf S. 17 des Entwurfs: „In der Abwägung ist ferner zu berücksichtigen, dass Schwangere und Embryo/Fetus sich nicht als zwei voneinander getrennte Individuen begegnen, sondern im Körper der Frau miteinander verbunden sind. Schwangere und Embryo/Fetus stehen sich nicht als voneinander unabhängige Konfliktparteien gegenüber.“11 Damit schiene der Konflikt gelöst, denn es gibt keine Konfliktparteien mehr. Es gibt die metaphysisch anmutende Frau, deren Selbstbestimmungsrecht es unbedingt zu wahren gilt. Die Konfliktparteien jedenfalls sind ineinander aufgegangen und in gewisser Weise scheint die Schwangere zum Embryo und der Embryo zur Schwangeren geworden zu sein. Beide zusammen sind die Frau, die über deren weiteres werden entscheidet. Aber wie soll sich der Staat schützend und fördernd vor den Embryo stellen, wenn dieser die Frau bzw. individuell als solcher, als unabhängige Konfliktpartei, gar nicht (mehr) anwesend, ist? Wie tief wirkt die Entscheidung, diesen mit der Schwangeren im Körper der verbundenen Embryo abzutreiben? In dieser Auffassung triebe die Frau einen erheblichen Teil ihrer selbst ab.
„Der Entwurf“, heißt es flankierend dazu, „geht wie die Kommission und zahlreiche Stimmen im verfassungsrechtlichen Schrifttum von einem anwachsenden Lebensschutz aus.“12 Dies widerspräche jedoch der Auffassung, dass der „Ungeborene […] im Wachsumsprozess nicht erst zum Menschen, sondern […] sich als solcher weiter[entwickelt], vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 28.05.1993 – 2BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1993, 1751 (1752).“13 Oder wie Prof. Dr. Blechschmidt es formuliert hatte: „Das heisst: ein Mensch entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch.“14
Zu seiner Zeit war es Blechtschmidts Ansinnen u.a. die biogenetische Grundregel von Ernst Haeckel zu widerlegen. Nach Haeckel’s Auffassung durchlaufe der Embryo erst einmal alle evolutionären Stadien, vom Fisch, zum Huhn, zum Hase, bevor er dann zu einem richtigen Mensch (her)anwachse. Dieser Auffassung (des Anwachsens und des im Körper der Frau miteinander verbunden sein) widersprechen bspw. die Tatsachen, dass sich in der 10. Schwangerschaftswoche der zeitlebens individuellen Fingerabdruck ausbildet15 und die der (über)lebensnotwendigen Trennung der beiden eigenständigen Blutkreisläufe durch die Plazenta.16 Eine Prämisse wie im Entwurf vorgestellt liese sich auch vor dem Hintergrund des eigenständigen Chromosomensatzes der berfruchteten Eizelle, die sich eigenständig erst noch im Körper der Frau einnistet, schwer halten.
Wären die Schwangere und Embryo/Fetus im Körper der Frau miteinander verbunden, dann hätte dieser (Über)Körper im Laufe seiner Schwangerschaft zwei Herzen, zwei Gehirne, vier Hände und 20 Finger und mitunter zwei verschiedene Geschlechter, die sich bei der Geburt plötzlich auf zwei eigenständige Individuen gerecht aufteilen würden.
Wie dem auch sei, in Deutschland herrscht schließlich Glaubensfreiheit.
Es wäre zu einfach und realitätsfern, den Schwangerschaftskonflikt in einer alles umfassenden, metaphysisch anmutenden Idee „der Frau“ auflösen zu wollen, so als gebe es keinen Konflikt mehr wenn Schwangere und Embryo in einer Symbiose zugunsten der Selbstbestimmung aufgehen. Bitte unterstüzt nicht die gefährliche Idee eines anwachsenden Lebensschutzes, die uns dieser Logik folgend auch (wieder) zu einem abgestuften, oder allmählich schwindendern Lebenssschutz verlocken könnte. Mensch ist Mensch von Anfang bis zum Ende. Bitte stellt euch solchen Menschenbild-Experimenten entgegen. Vielen Dank!
Quellen:
Titelbild: https://unsplash.com/photos/woman-holding-newspaper-beside-train-rail-4HqVMudO0Es?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash
1 Drucksache 20/13775, S. 3.
2 ebd.
3 ebd.
4 ebd.
5 ebd. S. 4
6 ebd.
7 ebd., S. 18.
8 ebd., S. 16f.
9 ebd. S. 7. Hervorheb. d. Autors.
10 Vgl. ebd., S. 20
11 ebd., S. 17.
12 ebd. S. 21.
13 WD 7 – 3000 – 256/18, https://www.bundestag.de/resource/blob/592130/21e336d47580c1faa15dbe23d999b62c/wd-7-256-18-pdf-data.pdf, S. 4.
14 Blechschmidt Erich; Wie beginnt das menschliche Leben; 1989; 6. neubearbeitete Auflage; Christiana Verlag; S. 158.
15 Vgl. dazu Heinrich Zankel; Von der Keimzelle zum Individuum Biologie der Schwangerschaft; 2001; Verlag C.H. Beck, S. 51; Michael Kiworr, Neun Monate bis zu Geburt – Fakten und Bilder, 2016, 1. Auflage, Bernardus Verlag, S. 98.
16 Siehe Rohen & Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, Schattauer GmbH, 3. Auflage, 2006, S. 36: „Ein Kontakt zwischen dem frei zirkulierenden mütterlichen Blut und dem geschlossenen System der fetalen Zirkulation wird in jeder
Entwicklungsphase sorgfältig vermieden, da es sonst zu lebensbedrohlichen Reaktionen kommen könnte.“
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