Um diese Frage zu beantworten machen wir Platz und lassen den Herrn Prof. Dr. Humanembryologe Erich Blechschmidt ran. Wir zitieren wegen der besseren Verständlichkeit ein größeres Stück aus seinem Buch „Wie beginnt das menschliche Leben“, heben das Wichtigste aber, für alle die nur mal drüber fliegen wollen, hervor:
„Wissenschaftlich besteht heute Übereinstimmung darüber, dass der menschliche Keimling biologisch von der Befruchtung an menschlich ist – im besonderen infolge seiner Chromosomen. Praktische Erwägungen der Klinik haben zwar dazu veranlasst, den Beginn der Schwangerschaft (als einen besonderen Zustand der Frau) mit der Einnisung des Eis gleichzusetzen. Damit ist die Menschlichkeit des Keims von Anfang an jedoch nicht geleugnet.
Trotzdem taucht heute noch immer die Frage auf, wann der Mensch zum ‚eigentlichen‘ Menschen werde. Die Diskussion um den Schutz und die Achtung des menschlichen Lebens vor der Geburt verlangt eine klare Stellungnahme zur Frage der Entstehung der menschlichen Individualität im Sinne der Entstehung von Personalität. Mit anderen Worten: was macht den Menschen zum Menschen und ab wann ist dieses Besondere da?“1
Die menschliche Entwicklung
„Wir sprechen von menschlicher Entwicklung nicht deshalb, weil etwa aus einem untypischen Zellhaufen im Verlauf der Entwicklung allmählich mehr und mehr ein Mensch werde, sondern weil sich ein Mensch immer nur aus einer bereits wesentlich menschlichen Eizelle differenziert. Menschsein ist kein Phänomen, das aus der Onotgenese folgt, sondern eine Wirklichkeit, die Voraussetzung der Ontogenese ist. Grundsätzlich gilt: Entwicklung hat stets einen Träger, der durch den ganzen Prozess der Entwicklung erhalten bleibt. Was sich ändert ist nur das Erscheinungsbild. […]
Ein Organismus summiert sich nicht nach und nach zu einer Einheit, sondern existiert schon zu Beginn seiner Entwicklung als ein Ganzes, und zwar nicht nur im Hinblick auf seine Gestalt und Gestaltung, sondern auch hinsichtlich seiner ganzen seelisch-geistigen Verhaltensweisen. Ein menschlicher Organismus kann deshalb nicht als eine Summe von Teilen aufgefasst werden, bei der eine seelisch-geistige Komponente nachträglich hinzukäme.
Es lässt sich nur dann von Entwicklung des Menschen sprechen, wenn bei einer Beschreibung menschlichen Lebens eine geistige Bezogenheit als wesentlich vorausgesetzt wird. Das heisst: ein Mensch entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch. Es wäre also irrtümlich zu meinen, Entwicklung sei ein Prozess, der erst allmählich die individuelle Wesenart hevorbrächte. An der Individualspezifität eines Organismus kann heute nicht mehr gezweifelt werden. Und zu dieser Individualspezifität gehört beim Menschen eine geistige Anlage schon mit Beginn seiner Ontogenese: die sogenannte Geist-Seele. Sie ist es, durch die das menschliche Individuum sich als Person vom Tier unterscheidet. […] Wenn es die Geist-Seele ist, die den Menschen als etwas Besonderes gegenüber allen anderen Lebewesen ausweist, dann muss diese Seele als mit der Befruchtung gegeben angenommen werden.„2
Frage nach Personsein im Ansatz verfehlt
„Wenn daher – auch bei Anerkennung der Individualspezifität des Menschen von der Befruchtung an – die Frage nach dem Beginn des Personseins und damit des ‚eigentlichen‘ Menschseins aufgeworfen wird, ist diese Frage im Ansatz verfehlt.
Eine ‚Personalisation‘ als Entwicklungsprozess gibt es nicht.
Das Wesen des Menschen ändert sich während der Entwicklung nicht – daher kann im Verlauf des menschlichen Lebens keine Personalität entstehen. Personalität – als Wesen des Menschen aufgefasst – ist in jeder Entwicklungsphase perfekt. Wie solllte man sich einen Keim, der sich auf ein mögliches personales Dasein ausrichtet, vorstellen? Wie sollte dieses personale Dasein beginnen? Wäre es zunächst nut zu 1%, dann zu 10% und schliesslich zur Hälfte existent? Würde es möglicherweise bei geistig Behinderten gar nicht realisiert?“3
Die Individualität des Menschen ist immer voll existent
„Die Aussage, der Mensch sei ein höher entwickeltes Tier, führt leicht zu dem Fehlschluss, die typische Menschlichkeit zeige sich erst mit der Entwicklung der Hirnrinde, weil erst mit ihr das für den Menschen charakteristische geistige Vermögen gegeben sein, d.h. Ende des zweiten Entwicklungsmonats.
Dazu ist daran zu erinnern, dass schon Ende der zweiten Entwicklungswoche die Anlage des Gehirns deutlich ist. Ein menschliches Individuum ist durch geistg eprägtes Verhalten gekennzeichnet. Dieses geistgeprägte Verhalten äussert sich aber nicht nur im Selbstbewusstsein oder logischem Denken. Vielmehr ist jede, auch gestaltliche Äusserung des Menschen von der wesensbestimmenden Geist-Seele geprägt. Deshalb ist es falsch, eine Personalität erst mit der Anlage der Hirnrinde anzunehmen.“4
Personalität von Anfang an
„Wenn wir Erwachsenen als Person achten, dann muss – nach dem Prinzip von der Erhaltung der Individualität – das gleiche auch für das Kind und für das Ungeborene gelten. Man kann also nicht etwa von werdendem Leben sprechen. Wenn auch der Embryo auf seine mütterliche Umgebung angewiesen ist, so ändert dies nichts daran, dass er in seiner personalen Eigenart anerkannt werden muss. Hiermit werden wir veranlasst, junges menschliches Leben schon pränatal un seiner Anfängen zu behüten. Denn Entwicklung ist nicht von Stadium zu Stadium ein akzidentelles Hinzukommen im Sinn eines Fortschritts vom Einfachen zum Komplizierten, sondern jeweils die Differenzierung eines schon vorgegebenen einheitlichen Ganzen. […]
Die Annahme der Personalität des Menschen von Anfang an beinhaltet aber die tiefe Überzeugung, dass die Wirklichkeit des Menschen mehr ist, als mit naturwissenschaftlichen Methoden begründet und mit philosophischen Meinungen erläutert werden kann.„5
Quellen:
1: Blechschmidt Erich; Wie beginnt das menschliche Leben; 1989; 6. neubearbeitete Auflage; Christiana Verlag; S. 157; Hervorheb. d. Autors
2: ebd.; S. S .158f.; Hervorheb. d. Autors
3: ebd.; S. 159; Hervorheb. d. Autors
4: ebd.; S. 160; Hervorheb. d. Autors
5: ebd.; S. 161Hervorheb. d. Autors
Bilder: Titelbild; Auge; Sternenhimmel; Mensch_mit_Down-Syndrom; Baby_Augen; Junge_liest
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