Oder besser: Wann geht §219a? Es wird heiß unter dem §219a. Weg soll er. Schon lange. Endlich, endlich, endlich sei die Zeit dafür gekommen. So verkünden es verschiedene Abgeordnete in der Bundestagsdebatte. Wir haben uns die Sache mal (verspätet) angetan und sind leicht schockiert. Warum und um was es geht? Schaut selbst.
Um was geht es eigentlich?
Herr Buschmann – FDP?
Dem Bundesjustizminister, Marco Buschmann, war es sehr, sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass §219a mit dem Schutzkonzept des ungeborenen Menschen nichts zu tun habe. Es ginge um seriöse Informationen über Schwangerschaftsabbrüche. Es sei nämlich so, dass wir im Internet jeden „Verschwörungtheroretiker, jeder Fake-News-Schleuder [erlauben] jeden Unsinn über Schwangerscahftsabbrüche zu verbreiten. Aber qualifizierten Ärztinnen und Ärzten als Hütern der Wissenschaft, der Fakten, der Sachlichkeit und der Aufklärung verbieten wir, sachliche Informationen bereitzustellen. Das ist doch absurd. Das ist ein Anachronismus, das ist eine Ungerechtigkeit,
und das ist die Konsequenz aus § 219a. Deshalb schaffen wir ihn ab, meine Damen und Herren.„1
Diese Hüter der Wissenschaft sprechen aber von Schwangerschaftsgewebe, Zellklumpen und Fruchtblase anstatt vom Kind2. Wie sachlich werden diese Information dann aussehen, wenn der Mensch nicht von Anfang an als Mensch gesehen wird?
Um was geht’s?
Nina Warken (CDU/CSU) gab zu Protokoll, dass es bei dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung „keineswegs nur um Informationen auf den Praxis-Webseiten [geht], auf die die Schwangere nur stößt, wenn sie gezielt danach sucht. Da sind Ihre Beispiele, liebe Kollegen der Ampelfraktion, und die Begründung im Gesetzentwurf schlicht nicht ehrlich. Wenn Sie nur das wollen, dann legen Sie doch einen Gesetzentwurf vor, der auch nur das ermöglicht.„3
Carmen Wegge (SPD) hatte dann ihren großen Braveheart Moment4:
„Sehr geehrte Damen und Herren! Gerade bin ich versucht, kurz innezuhalten, aufzuschauen und diese Situation zu genießen. Denn dies ist der Moment, für den so viele Frauen jahrzehntelang auf die Straße gegangen sind. Dies ist der Moment, für den so viele Ärztinnen und Ärzte gekämpft haben. Dies ist der Moment, in dem wir endlich in das parlamentarische Verfahren zur Streichung von § 219a aus dem Strafgesetzbuch eintreten. Dies ist der Moment, der uns Frauen ein Stück weit die Hoheit über unsere Körper zurückgeben wird. Es ist ein schöner Moment. Allen, die bis jetzt nicht nachvollziehen können, warum dies ein schöner Moment ist, denen sei Folgendes gesagt: § 219a trat am 26. Mai 1933 in Kraft und ist ein Paragraf des NS-Unrechtsregimes.„3
Verkommt jetzt etwa die Debatte um Abtreibung zu einem Kampf gegen Rechts? Die Regelung des §219a sei, so Wegge weiter, „eine Manifestation des patriarchalen und frauenfeindlichen Naziregimes.„4
Wann auch immer dieser Paragraph eingeführt wurde, verbietet es aber die Würde und das Lebensrecht des Menschen, um das es hier in letzer Instanz geht, eine blinde Zerstörungswut gegen alles was „rechts“ sein könnte. Eigentlich offenbart sich hier, dass es um parteipolitisches Geplänkel, anstatt um den Schutz des Menschen geht.
Es geht um Mehr
Ja, Herr Buschmann hatte sich stets bemüht den §219a aus dem Schutzkonzept des ungebornen Menschen raus zu argumentieren. Es sei ein einzelner Schritt. Keine Sorge, beteuert er. Kein Schritt weiter. Nur der §219a.
Später bemüht sich seine Koalitionskollegin Lisa Paus (Bündnis 90/die Grünen), Familienministerin, zu erklären, dass §219a nur der erste Schritt sei. „Deshalb wollen wir auch einen zweiten Schritt gehen und eine Regelung für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des StGB treffen. […] Der Schwangerschaftsabbruch gehört einfach nicht ins Strafrecht, meine Damen und Herren.“5
Das ist doch mal ein ehrliches Statement.
Dem Bundesverfassungsgericht zuvor kommen?
Kristina Hänel, die Ärztin, die die ganze Debatte erst so richtig ins Rollen gebracht hatte, klagte sich ja bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dessen Urteil steht noch aus. Es macht so ein bisschen den Anschein als wolle die Regierung diesem zuvor kommen. Aus Angst wie das Gericht entscheiden könnte? Wie anders erklärt man die Persilscheine, die von Herrn Buschmann an bereits veruteilte Ärztinnen und Ärzte ausgeteilt werden sollen?
„Einen letzten Gedanken möchte ich äußern, weil wir in unserem Gesetzentwurf für die wenigen, aber schwerwiegenden Fälle, wo es schon zu einer Verurteilung kam, eine Rehabilitierungslösung aufgenommen haben. Die Entscheidung haben wir uns nicht leicht gemacht; denn das ist immer ein Eingriff in die Gewaltenteilung. Aber es geht hier um wenige Fälle. Es ist, glaube ich, deshalb richtig und wichtig, weil wir die verurteilten Ärztinnen und Ärzte nicht auf den Gnadenweg beim Bundespräsidenten zwingen wollen. Sie sollten nicht um Gnade bitten müssen, sondern wir sollten das Problem aus der Welt schaffen.„6
Welches Zeichen setzt man damit eigentlich?
Quellen:
(Die Videomitschnitte sind direkt auf den jeweiligen Beitrag verlinkt)
1: Im Videomitschnitt hier, Plenarprotokoll auf S. 38 von 98 linke Spalte
2: vgl. dazu https://youngandfree-kaleb.de/c2a7219a-abschaffung-beschlossene-sache/ sowie https://youngandfree-kaleb.de/das-recht-auf-wahrheit/
3: Im Videomitschnitt hier, Plenarprotokoll auf S. 39 von 98 linke Spalte
4: Im Videomitschnitt hier, Plenarprotokoll ab S. 40 von 98 rechte Spalte; beachtet bitte die Zwischenrufe im Protokoll
5: Im Videomitschnitt hier, Plenarprotokoll auf S. 44 von 98 linke Spalte
6: Im Videomitschnitt hier, Plenarprotokoll auf S. 38 von 98 rechte Spalte
Bilder: falscher_Hund; Titelbild; Fragezeichen; Fragezeichen_Wald
Sebastian Meichßner
Interessanterweise sehen das auch zwei Experten am Ende der Fragerunde in der öffentlichen Anhörung des Bundesauschusses so, dass man erst mal auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts warten solle. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw20-pa-recht-schwangerschaftsabbruch-892470