Justiztminister Marco Buschmann war zu Gast im F.A.Z. Einspruch Podcast und stand dort Rede und Antwort. Nach gut einer Stunde kam dann aus dem Publikum die lebensrechtliche Gretchenfrage. Eine junge Dame nämlich, „hätte eine Frage zum Abtreibungsrecht.“
Nachdem die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus anfang des Jahres schon gedrängt hat den §218 endlich aus dem Strafgesetzbuch zu werfen, legte nun Herr Buschmann seine Sicht der Dinge in dem F.A.Z. Podcast1 dar:
„Ich bin gefürchtet für meine ausholenden Antworten, weil das eine komplexe Frage ist, aber ich versuch’s einfach vernünftig zu kontextualisieren. Sie alle kennen das Problem. Die Frage des Schwangerschaftsabbruchs ist eine Güterabwegung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Wert des ungeborenen Lebens, das Verfassungsrang hat und wir deshalb in einem echten Grundrechtskonflikt sind. Meine persönliche Meinung ist, dass dieser Konflikt eher zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts der Frau aufzulösen ist, weil wir, wenn wir das sozusagen in die absolute Illegalität abdrängen, wir am Ende sehen werden, dass die Frauen zu irgendwelchen Quacksalbern gehen und das führt am Ende dazu, dass das Leben von Frau und Kind gefährdet wird. In dieser Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht ja auch irgendwann akzeptiert, dass es diesen Grundrechtekonflikt gibt. Und wir sind dann zu einer Situation gekommen, wo man sagt im Grundsatz ist das strafbar aber unter besimmten Bedingungen bleibt es dann strafffrei. Das ist dieses, ich will’s jetzt gar nicht banalisieren, diese etwas rheinische Lösung könnte man meinen, dass man pragmatisch zu dem Ergebnis kommt, dass man unter bestimmten Bedingungen strafffrei einen Schwangerschaftsabbruch durchführen kann, dass aber trotzdem das Unwerturteil auf diesem Vorgang liegt, dass es eigentlich strafbewährtes Unrecht ist.
Und was wir jetzt gemacht haben, und deshalb bin ich ab und zu so ein bisschen unglücklich mit diesen plakativen Ankündigungen gewesen, ist, dass wir weil wir eben eine Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts haben, dass wir eine Kommission einsetzen, das tun wir auch in Kürze, die erstmal die Frage klärt ob es überhaupt eine Lösung geben kann, die unter Beachtung des Grundgesetzes und der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ohne das Straffrecht auskommen kann. Das ist eine sehr schwierige und auch sehr umstrittene Frage, auch unter Fachjuristen. Und deshalb muss man erstmal diese Vorfrage klären: Kann es überhaupt unter der Herrschaft des Grundgesetzes und unter Beachtung der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Lösung dieses Konflikts geben, der ohne das Straffrecht auskommt? Und wenn man diese Vorfrage mit Ja beantwortet, wie würde ein solches Modell aussehen? Denn ein solches Modell kann ja nicht sein ‚wir streichen das einfach und dann gilt gar nichts.‘ Eine solche Lösung wär definitiv ein Verstoß gegen die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts. Aber d.h. nicht, dass es nicht ein solches Modell geben kann.
Und wir werden jetzt in Kürze eine Kommission einsetzen, als Gesundheitsministerium, als das Haus von Lisa Paus und mein Haus, wo Expertinnen und Experten sich mit dieser Frage auseinandersetzen: Also der Vorfrage kann es eine verfassungsrechtlich saubere Lösung ohne das Strafrecht geben und wenn Ja, welche Bedingung müsste eine solche Lösung erfüllen? Und wenn wir dann die Ergebnisse haben, werden wir uns drüber beugen und uns die Frage stellen, ob das, sozusagen ob uns das verfassungsrechtlich überhaupt erstmal überzeugt, denn das wird ja in Karlsruhe landen. Das hat die bayerische Staatsregierung ja schon angekündigt wenn da was passieren würde. CDU/CSU Bundestagsfraktion würde das sicher auch tun, das ist auch deren gutes Recht, das soll man nicht beklagen, sondern das sind einfach verfassungsmäßige Rechte, die es da gibt. Und dann müssen wir natürlich eben schauen ob uns das verfassungsrechtlich überzeugt, dass wir glauben das würde in Karlsruhe standhalten und ob wir das politisch für richtig halten. Weil ich kenne diese Bedingungen noch nicht.
Weil ich, und jetzt kommt mein eigentlicher Punkt: Ich finde es immer etwas unglücklich, wenn man eine Kommission mit möglichst hochkarätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben möchte, die einen beraten, dass die den Eindruck haben, das sei aber nur ein PR-Stunt, würden die Spin-Doctoren glaube ich sagen. Also das Ergebnis würde ja eigentlich schon feststehen und man sucht jetzt nur irgendwelche Leute, die Professor, Doktor auf der Visitenkarte haben, die dann ihren guten Namen dafür hergeben, dass man sich dahinter verstecken kann und das ist es nicht. Sondern es ist ein ergebnisoffener Prüfungsauftrag, der auch wirklich valide überprüft werden muss, insbesondere was die Verfassungsfestigkeit angeht, ob das auch echt Substanz hat und überzeugt. Und deshalb find ich’s nicht so gut, dass wir jetzt schon als Minister irgendwie sagen was wir uns wünschen oder was das Ergebnis sein sollte, sondern ich halte mich da bewusst sehr zurück. Ich hab da ne persönliche Meinung zu. Aber ich halte mich da sehr zurück, weil ich jetzt möchte, dass diese, dass wir erstens möglichst hochkarätige Menschen für diese Kommission gewinnen und dass die dann einfach mal ein Jahr Zeit haben ihre Arbeit zu machen und dann guck ich mir das Ergebnis an. Und das ist der Grund warum ich es für unglücklich halte da jetzt schon irgendwie zu sagen dieses oder jenes sollte das Ergebnis sein, sondern wir sollten jetzt dieses Arbeitsprogramm die Kommission abarbeiten lassen und anders kann es im Rechtsstaat nicht sein. Wenn wir eine Verfassung haben und wenn wir eine Verfassungsrechtsprechung zur bindenden Interpretation der Verfassung haben, dann müssen wir das als Politik beachten und wenn wir etwas tun wollen, was damit in Konflikt gerät müssen wir sauber prüfen ob das geht oder ob das eben rechtlich nicht geht. […] Und deshalb würde ich sagen, lassen wir die jetzt arbeiten. Schauen wir uns ein einem guten Jahr das Ergebnis an und dann kann man konkret sagen welche Schlussfolgerungen man daraus zieht.“1
Was ist ethisch falsch?
Soweit lies sich Herr Buschmann in die Karten schielen. Er blieb bis zu dieser Stelle aber doch recht oberflächlich und hielt sich bewusst sehr zurück. Der Quoten-Quacksalber2 war zwar wieder dabei, nun gut. Und es gab diese kleinen „ich find das schwierig“-Seitenhiebe in Richtung Ministerin Lisa Paus, die ja schon mit den Hufen scharrt und ihre persönliche Meinung zum Thema §218 kaum hinterm Berg halten kann. Ansonsten war’s recht ruhig.
Aber nach aller Diplomatie wurde Buschmann doch mal ein bisschen persönlicher, konkreter als folgende Frage kam: „Haben Sie denn den Eindruck, dass die derzeitige Praxis, Praxis verfassungskonform ist? Es wurde ja geurteilt, es gibt eine, Beratungspflicht im Grunde, die aber auf den Schutz des ungeborenen Lebens ausgerichtet sein muss. Und ich meine jetzt nicht unbedingt die Zahl, die doch erhebliche Zahl für einen Wohlfahrtsstaat, der Abtreibungen, die wir jedes Jahr haben, sondern auch die Frage wird faktisch eigentlich zu Gunsten des ungeborenen Lebens beraten, nach Ihrer Ansicht?“
Buschmann antwortet darauf: „Das ist natürlich ein ganz schwieriges Themenfeld. Ich will mal aus meiner persönlichen Meinung, aus meinem Herzen da keine Mördergrube machen. Wer sind wir als Staat, dass wir bei dieser höchstpersönlichen Entscheidung, die das Leben von Menschen auf viele Jahrzehnte prägen wird, wer sind wir als Staat, dass wir uns anmaßen unsere Entscheidung an die Stelle, des Menschen, und das ist im Wesentlichen die Mutter, deren Leben am meisten dadurch geprägt wird, deshalb bin ich sehr zurückhaltend darin irgendwie verfahrenslenkend in diese Prozesse eingreifen zu wollen. Und trotzdem gilt, das Grundgesetz gilt. Wir haben im Grundgesetz eine Regel dafür wer das letzte Wort, was die Interpretation angeht, hat, und deshalb ist natürlich die Verfassungsrechtsprechung zu beachten. Aber ich habe persönlich eine Neigung dazu, dass ich sage wer sind wir als Staat, dass wir bei dieser Entscheidung Menschen möglicherweise etwas versuchen aufzudrängen oder sie in eine Richtung zu drängen? Das hielte ich ethisch falsch.“3
Danke Justizminister Marco Buschmann für diese Worte und Gedanken. Unser ungeborenes Gretchen würde Ihnen zwar bezüglich des §218 sagen: „Ich glaub’, du hältst nicht viel davon.“4 Aber wir würden Ihnen für Ihre weitere Arbeit gerne noch dieses Horkheimer Zitat aus dem Jahre 1970 mit auf den Weg geben. Sehen Sie es als eine Art Leitplanke für die Denkprozesse rund um den §218.
„Gerechtigkeit und Freiheit sind nun einmal dialektische Begriffe. Je mehr Gerechtigkeit, desto weniger Freiheit; je mehr Freiheit, desto weniger Gerechtigkeit.“5
Den Konflikt über Selbstbestimmung der Frau, ihrer Freiheit in dem Sinne, aufzulösen, hat unweigerlich zur Folge, dass der §218, als Ausdruck des Rechts auf Leben des Menschen vor seiner Geburt, verschwindet. Wir wollen mehr Freiheiten, also verschwindet für manche Mitglieder der Gesellschaft die Gerechtigkeit. Im Umkehrschluss hätte Horkheimer ebenso Recht. Dem Embryo zu seiner Gerechtigkeit, seinem vollumfänglichen Recht auf Leben, zu verhelfen, hätte in seiner Konsequenz Freiheitsbeschränkungen für die Frau.
…dass man auch die Zahlen kennt
Herr Buschmann wird interessanterweise am Ende des Themenkomplexes über den §218 noch nach der Verbesserung der Abtreibungsstastistik gefragt. Natürlich bringt Buschmann hier den sog. „Versorungsengpass“ ins Spiel, aber aus seinen wieder sehr diplomatischen Worten kann man entnehmen, dass er einer genaueren und besseren Erfassung der Zahlen nicht abgeneigt ist.
Quellen, zuletzt aufgerufen am 17.02.2023
1: Justizminister Marco Buschmann am 15.02.2023 in „Will die Ampel eine andere Gesellschaft?“ von Von Stephan Klenner und Reinhard Müller (https://www.faz.net/podcasts/f-a-z-einspruch-podcast/will-die-ampel-eine-andere-gesellschaft-18681162.html), ab 1:11:05h; bzw. hier https://youtu.be/U4wfNXpHQ2E?t=4265
2: Wegen dem Quaksalber Argument siehe https://youngandfree-kaleb.de/sterben-an-illegaler-abtreibung/ und https://youngandfree-kaleb.de/1-000-000-illegale-abtreibungen-jaehrlich/
3: ebd.: https://youtu.be/U4wfNXpHQ2E?t=4627
4: https://de.wikipedia.org/wiki/Gretchenfrage#cite_note-1
5: Max Horkheimer, in „Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen – Ein Interview mit Kommentar von Helmut Gumnior“; 9.-16. Tausend Mai 1971; Furche Verlag; S. 86
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Ela
„Meine persönliche Meinung ist, dass dieser Konflikt eher zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts der Frau aufzulösen ist, weil wir, wenn wir das sozusagen in die absolute Illegalität abdrängen, wir am Ende sehen werden, dass die Frauen zu irgendwelchen Quacksalbern gehen und das führt am Ende dazu, dass das Leben von Frau und Kind gefährdet wird.“
Das Leben des Kindes ist bei einer Abtreibung in der Klinik nicht gefährdet? Was für eine merkwürdige Logik!
Wie kann ein Herr Buschmann „ergebnisoffen prüfen“, wenn er doch schon der Meinung ist, dass der Staat sich nicht einmischen soll?
Die Erziehung zu einer verantwortungsvollen Sexualität und stabile Familien sind der einzig richtige Weg.
So darf Leben entstehen und wächst geborgen auf. Jedes Baby MUSS ein Recht haben geboren zu werden.
Denn es WIRD nicht wenn ich mich dafür oder dagegen entscheide,
es WIRD, wenn es zu einer Befruchtung im Mutterleib kommt. Die einfachsten Dinge der Welt werden nicht mehr
verstanden. Was für eine Tragik!