Keine Angst, das wird jetzt kein Block über Nazi’s. Schnappatmung. Der eine oder andere ist schon enttäuscht. Nein, wir werden uns auf den folgenden Zeilen mit dem Lebens- bzw. Abtreibungsrecht beschäftigen. Beim Ethikinstitut1 hat eine gewisse Sophia Keppler einen Text mit der Frage „Gibt es ein Recht auf Abtreibung?“2 veröffentlicht. Spannender Beitrag, bei dem wir einen Punkt mal genauer unter die Lupe nehmen wollen.
Fast forward: Wir springen gleich mal auf Seite 13 der PDF.3 Dort schreibt Keppler, indem sie sich auf den amerikanischen Theologen Stanley Hauerwas bezieht, der sich seinerseits auf den Philosophen Alasdair McIntyre verweist „dass es, um moralisches Einvernehmen in einer Gesellschaft zu erzielen, ein gemeinsames tradiertes Verständnis vom Wesen und dem Ziel der Menschheit brauche.“4 Kurzum: Was ist der Mensch? Und wenn ja, meinen wir auch dasselbe?
Die liberale Gesellschaft5 halte von einem tradierten Verständnis, einer Gebundenheit an ein allgemeingültiges Menschenbild nicht mehr viel. Der Einzelne Mensche wolle sich schon seit längerem aus der Allgemeinheit heraus individualisieren. Das wiederum macht u.a. die Abtreibungsfrage so schwierig. Warum? Weil es kein gemeinsames Verständnis mehr davon gibt was der Mensch sei. Ist es ein Mensch von Anfang an? Entwickelt er sich zum oder als Mensch? Ab empfindet er Schmerz? Ist das überhaupt wichtig? Ab wann ist ein Mensch eine Person? „[Es] gebe in der Abtreibungsdebatte kein Einverständnis mehr darüber[…], auf welchen Grundannahmen über die Menschheit eine Argumentation aufgebaut werden solle.“6
Salopp gesagt: Gefühlt jeder, der meint auch nur Ansazzweise meint eine Antwort auf die Frage „Gibt es ein Recht auf Abtreibung?“ gefunden zu haben, hat zuvor sein eigenes Menschenbild ins Spiel gebracht vor dessen Hintergund die jeweilige Antwort dann plausibel klingt. Das erläutert Keppler anhand von Beispielen wie Peter Singer und Judith Jarvis Thomson (ihr erinnert euch, die Frau mit der Geigeranalogie) sehr einleuchtend. Fragt sich jetzt nur welches das richtige Menschenbild ist.
Nun, so im Text von Keppler, gebe es aber soviele Bilder vom Menschen und es gehe heute nicht mehr darum herauszufinden welches nun das richtige ist, sondern dass jeder mit dem Bild, das er hat, glücklich werden kann. Und es gehe, vielleicht noch wichtiger, darum, wie man andere in diesem ihren Glück nicht beeinträchtigt. #DeineWahrheitMeineWahrheit: „Es ist egal was du bist, Hauptsache ist, es macht die glücklich.“7
Bezogen auf die Abtreibungsfrage ist auch hier die indivduelle Glückssuche entscheidend. „Eine sich daraus ergebende Frage ist, ob dem ungeborenen Menschen individuelle Freiheitsrechte zustehen und wenn ja, ob diese Rechte ihm einen Schutz vor einer Abtreibung garantieren können.“8
Keppler bietet über Hauerwas in ihrem Beitrag einen Erklärungsansatz dafür an: „Die Sprache von individuellen Freiheitsrechten sei nicht angemessen, um zwischenmenschliche Verhältnisse zu beschreiben.“9 Wenn wir ständig von Rechten, die wir haben oder einander zugestehen (müssen), sprechen, so offenbaren wir damit ein Menschenbild in dem wir Menschen uns gegenseitig fremd und/oder feind sind. Grundsätzlich.
„Die Sprache von Rechten lasse menschliche Beziehungen zudem grundsätzlich als Vertragsbeziehungen erscheinen, durch die das eigene Überleben gesichert werden solle. Dadurch würden Menschen jedoch kommerzialisiert. So lasse die Sprache von Rechten Familien als eine Gruppe von durch Verträge miteinander verbundenen Individuen erscheinen, was jedoch das Gegenteil von Familie sei. Familienbeziehungen konstituierten sich eben nicht durch Verträge, sondern dadurch, dass Menschen in eine Familie hineingeboren werden. Die innerfamiliären Beziehungen könnten daher vielmehr durch gegenseitige Übernahme von Verantwortung charakterisiert werden.“10
Bei (ungeborenen) Kinder wird jetzt aber oft die Frage gestellt ob sie denn schon Personen seien.11 So, als dürfe man die Achterbahn des Lebens erst ab einem bestimmten Grad der Entwicklung antreten. Diese Frage führe laut dem eben zitierten aber in die falsche Richtung: „denn Kinder sollten nicht deshalb respektiert werden, weil sie Personen seien, sondern weil sie Kinder seien. Als diese Kinder gehörten sie einer konkreten Gemeinschaft an, in der sie nicht aufgrund von ihren Rechten wertgeschätzt werden sollten, sondern aufgrund ihrer Zughörigkeit zu dieser Gemeinschaft. Die relevante Frage sei daher, wie wir zu Gemeinschaften werden könnten, in denen neues Leben willkommen geheißen werde. Zu dieser Frage trage die Sprache von Rechten jedoch sehr wenig bei.“12
Keppler konnte Hauerwas aber noch mehr entlocken. Der vertrete nämlich die Ansicht, dass die Gründe, die eine Frau zu einer Abtreibung bewegen, fast nie die Gründe seien, „mit denen eine Abtreibung im philosophischen Diskurs gerechtfertigt oder verworfen werde.“13 Konkret gehe es eigentlich nicht um das Lebensrecht des ungeborenen Menschen, sondern meistens „um die Qualität der Beziehung, aus der dieser Mensch entstanden sei.“14 Da könnte was dran sein.15 Eine Auswertung 1.668 anonymisierter Schwangerschaftskonflikt-Beratungsprotokolle aus den Jahren 2012 bis 2018 hat ergeben, dass „die Konfliktgründe ‚Kindesvater will das Kind nicht‘, ‚Druck durch Familie‘ und ‚Druck durch Umfeld‘ haben gemeinsam, […] eine druckausübende Beeinflussung Dritter auf die Frau und ihre Schwangerschaft darstellen. […] Nicht selten scheinen Frauen also einen Schwangerschaftsabbruch zu erwägen, weil sie nicht die notwendige Unterstützung ihres Umfeldes – insbesondere die des Kindesvaters – erhalten oder sogar zu einem Abbruch genötigt werden.“16
„Daher“, so Keppler, „kommt Hauerwas zu dem Schluss: Während Abtreibung in der Diskussion oft als notwendig verteidigt werde, um Frauen ihr Recht auf Freiheit zu garantieren, werde sie in Wahrheit oft von Männern als Mittel verwendet, um sich von ihrer Verantwortung zu befreien.“17
Was meint ihr: Ist die Sprache von individuellen Freiheitsrechten angemessen, um zwischenmenschliche Verhältnisse zu beschreiben, oder nicht? Gründen sich Familienbeziehungen durch Verträge oder dadurch, dass Menschen in eine Familie hineingeboren werden? Werden Kinder in einer konkreten Gemeinschaft aufgrund ihrer bloßen Zugehörigkeit oder ihrer Rechte wertegschätzt? Liegt es an der gegenseitig übernommenen Verantwortung füreinander? Was wird aus meinem glücklichen Leben?
Quellen: Titelbild: https://unsplash.com/photos/a-crowd-of-people-holding-signs-PODOPL2_CtE?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash; Mensch und Gemälde: https://unsplash.com/photos/man-in-black-shirt-standing-beside-woman-in-yellow-and-white-floral-dress-painting-tbADUCXMcJw?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash; Batman Kind: https://unsplash.com/photos/child-in-mask-holding-a-drink-5_F-xw3fDrw?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash; Karton: https://unsplash.com/photos/a-person-sitting-on-a-couch-with-a-book-on-their-head-oOo1hf6-uhQ?utm_content=creditShareLink&utm_medium=referral&utm_source=unsplash
1 https://ethikinstitut.de/, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024
2 https://ethikinstitut.de/bio-medizinethik/gibt-es-ein-recht-auf-abtreibung/, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024
3 https://ethikinstitut.de/wp-content/uploads/2024/10/57-Abtreibungsrecht_Keppler.pdf, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024
4 ebd., S. 13, Hervorheb. de. Autors.
5 Liberalismus laut Wikipedia: „Der Liberalismus befürwortet eine Gesellschaft, die auf der Freiheit des Einzelnen, der Wahrung des Rechts, Pluralismus und freiem Gedankenaustausch basiert. Die freie Äußerung aller Ideen und Interessen ermöglicht einer Gesellschaft, dass sich die besten Ideen durchsetzen.“, https://de.wikipedia.org/wiki/Liberalismus, zuletzt aufgerufen a, 17.10.2024.
6 https://ethikinstitut.de/wp-content/uploads/2024/10/57-Abtreibungsrecht_Keppler.pdf, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024, S. 13 Hervorheb. d. Autors.
7 Glücklich von Farin Urlaub, https://www.songtexte.com/songtext/farin-urlaub/glucklich-1bdcc9d0.html, zuletzt aufgerufen am 17.10.2024
8 https://ethikinstitut.de/wp-content/uploads/2024/10/57-Abtreibungsrecht_Keppler.pdf, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024, S. 13 Hervorheb. d. Autors.
9 ebd, Hervorheb. d. Autors.
10 ebd.
11 https://youngandfree-kaleb.de/stichwort/person/, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024
12 https://ethikinstitut.de/wp-content/uploads/2024/10/57-Abtreibungsrecht_Keppler.pdf, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024, S. 13 Hervorheb. d. Autors.
13 ebd., S. 13 Hervorheb. d. Autors.
14 ebd.
15 https://youngandfree-kaleb.de/gruende-fuer-den-schwangerschaftskonflikt/, https://youngandfree-kaleb.de/gruende-fuer-einen-schwangerschaftsabbruch/, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024.
16 Dienerowitz Fet al. Gründe für den … Geburtsh Frauenheilk 2022; 82: 689–692 | © 2022. Thieme. All rights reserved; zitiert in https://youngandfree-kaleb.de/gruende-fuer-den-schwangerschaftskonflikt/, zuletzt aufgerufen 12.10.2024.
17 https://ethikinstitut.de/wp-content/uploads/2024/10/57-Abtreibungsrecht_Keppler.pdf, zuletzt aufgerufen am 12.10.2024, S. 13 Hervorheb. d. Autors.
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