Wir hatten vor kurzem berichtet, dass Emmanuel Macron in seiner Antrittsrede als Ratspräsident der EU lobend die Abschaffung der Todesstrafe in Europa erwähnte, aber gleichzeitig für ein Recht auf Abtreibung warb. Wie das möglich war, ohne dass er sich übergeben musste, erfahrt ihr hier.
Die Charta der Grundrechte der EU, auf die sich Macron bezieht, beginnt im Kapitel 1, Artikel 1 mit der „Würde des Menschen“.1 Wie schon im deutschen GG, steht hier auch, dass die „Würde des Menschen […] unantastbar [ist]. Sie ist zu achten und zu schützen.“2
Artikel 2 (Recht auf Leben) schwenkt jedoch ein bisschen und sagt: „(1) Jede Person hat das Recht auf Leben. (2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.“3
Macron bzw. die EU reist hier die alte Mensch-Person Debatte wieder auf.
Sind Menschen Personen?
John Locke, ein englisher Staatstheoretiker und Philosoph, war mit einer der Ersten, der den Begriff „Person“ auf die große Bühne hievte. Dabei war es für ihn wichtig zu definieren, dass eine „Person“ unbedingt ein Bewusstsein haben muss. Denn nur wer ein Bewusstsein, im Speziellen von seinen eigenen Handlungen hat, kann auch für diese von einem richtenden Staat verurteilt werden. Der „bewusstseins“-Personenbegriff war/ist vor allem im Staatswesen, also der Beziehung Mensch und Staat, von enormer Bedeutung.
Verglichen mit der EU: Ein Mensch, der das Bewusstsein hat und aufgrund dessen kommunizieren kann, dass er nicht sterben möchte, also eine Person ist, für den darf die Todesstrafe niemals verhängt werden. Ein Embryo kann das logischerweise nocht nicht. Hat auch kein Bewusstsein in dem Sinne wie es Locke und nach ihm z.B. Peter Singer fordert. Emmanuel Macron reiht sich fröhlich mit ein.
Zusammengefasst kann man sagen, dass in deren Sprachgebrauch/Verständnis nur diejenigen Menschen auch Personen sind, „die sich durch bestimmte Qualitäten auszeichnen.“4
Vorsicht Kopfknoten
„Der Personenbegriff spielt plötzlich eine Schlüsselrolle bei der Destruktion des Gedankens, Menschen hätten, weil sie Menschen sind, gegenüber ihresgleichen so etwas wie Rechte. Nicht alle Menschen sollen Menschen Rechte haben, sondern nur, soweit sie Personen sind.“5
An dieser Stelle eine kurze Erinnerung an die Charta der Grundrechte. Personen haben das Recht auf Leben. Anders ausgdrückt: Alle Personen haben dieses Recht, und den damit verbundenen Schutz vor der Todesstrafe. Aber nicht alle Menschen.
„Es ist, wie erwähnt, erwiesen und heute auch weihtin akzeptiert, dass der Mensch hinsichtlich seines Körperbaus von Anfang an menschlich ist. Allerdings wird er weiterhin als Produkt der Evolution angesehen, also als höher entwickeltes Tier, rein physikalisch-chemisch erklärbar. Und so bleibt die Frage: Wann ist er Person?“6
Noch keine Person (an)erkannt?
Menschen seien bspw. keine Personen „wenn ihnen von Anfang an die Aufnahme in die Anerkennungsgemeinschaft verweigert wurde, durch die Menschen erst zu Personen werden.“7
Anerkennungsgemeinschaft meint hier z.B. unsere Gesellschaft, in die wir durch die Annahme unserer Mutter und definitiv durch unsere Geburt(surkunde) aufgenommen werden. #MagischerGeburtskanal
„Tatsächlich entwickelt ein Kind ja erst die für Personen charakteristischen Merkmale, wenn es angenommen wurde und eine entsprechende mütterliche Zuwendung erfährt. […] Ihre Verweigerung wäre dann also noch gar nicht rechtfertigungsbedürftig. Denn Rechtfertigung schulden wir nur Personen.“8
Hieße also, dass Abtreibung kein Unrecht wäre. Demzufolge kann Macron bedenkenlos die Abschaffung der Todesstrafe feiern und das Recht auf Abtreibung fordern. Ohne Würgreiz.
„Es gibt keinen Grund diesen Menschen einen Rechtsanspruch etwa auf Leben zuzugestehen; dies wäre sogar eine unmoralische Parteilichkeit zugunsten der eigenen Spezies, ‚Speziesismus‘, wie der diskriminierende Ausdruck des australischen Tierschutzphilosophen und Ethikers Peter Singer lautet.“9
Person ist man nur in Beziehung
Auf der Suche nach der „Person“ sind wir auch über unsere Beziehungen gestolpert.
Die Einzigartigkeit einer Person ist ja nicht das „einsame Ich, das sich von allen absondert, um nur ja nicht im Allgemeinen aufzugehen. Die Einzigartigkeit der Person ist ihre Unvertauschbarkeit in ihren Beziehungen zu anderen Personen.“10
„Das Personalpronomen ‚ich‘ bezieht sich nicht auf ‚ein Ich‘ – ‚das Ich‘ ist eine Erfindung von Philosophen -, sondern auf ein Lebewesen, das später einmal ‚ich‘ zu sagen begann. Und die Identität dieses Lebewesens ist unabhängig von dem, woran es sich erinnert.“11 Oder was ihm, im Sinne von John Locke, bewusst ist. (Nur unter uns: Locke’s Personbegriff existiert/funktioniert auch nur in der Beziehung des Menschen zum Staat. Denn der Mensch ist ja auch ein Beziehungswesen – Zoon politikon). Aber zurück zum Thema.
Natürlich „sagt eine Mutter zu ihrem Kind: ‚Als ich mit dir schwanger war‘ oder ‚als ich dich geboren habe‘ usw. Und nicht: ‚Als ich einen Organismus in mir trug aus dem dann später du wurdest.‘ Alle Versuche, Personalität von der Vitalität, von der Existenz eines menschlichen Organismus abzulösen, sind kontraintuitiv. Sie sind unvereinbar mit dem Sprachgebrauch jedes normales Menschen.“12
Zusammenfassung
„Das Menschsein ist die Voraussetzung der Entwicklung, des Werdens, nicht umgekehrt das Wesen die Voraussetzung des Menschen.“13 Nur ein Mensch kann eine Person sein. Ohne Mensch, keine Person.
„Das bedeutet, dass die Frage, wann der Mensch wirklich Mensch, d.h. Person wird“ – in unserem Fall diese Auffasung Präsident Macrons, die es ihm möglich machte sich der Abschaffung der Todesstrafe zu rühmen und gleichzeitig das Recht auf Abtreibung zu fordern – „im Ansatz verfehlt ist.“
Denn der „Mensch wird nicht Mensch, sondern ist Mensch von Anfang an. Er entwickelt sich nicht zum Menschen sondern als Mensch. Person, die wir mit dem Wesen des Menschen meinen, kann daher nicht im Laufe der Entwicklung entstehen. Sie ist vielmehr Voraussetzung für menschliche Entwicklung. Der Mensch kann nicht als eine Summe von Teilen aufgefasst werden, bei dem eine seelische Komponente zusätzlich, aber doch wesensbildend, konstitutiv hinzukäme.“14
„Wer das prinzipielle Personsein des Menschen von Beginn […] seiner leiblichen Existenz abkoppelt und von bestimmten intelektuellen oder körperlichen Entwicklungen abhängig macht, verabschiedet sich von der unveräußerlichen und unantastbaren Menschenwürde.“15
Denn…
„Mit der Leugnung der Person von Anfang an, kann allen Formen der Manipulation, Verwrtbarkeit, ja Machbarkeit des Menschen der Weg eröffnet werden. Deswegen das fanatische Festhalten an dem Noch-Nicht-Peron-Sein dess kleinen Menschen. Der MEnsch darf zunächst noch kein Mensch sein, damit man ihn benutzen, ja vernutzen kann.“16
Wer mehr wissen will…
…dem empfehlen wir „Was macht den Menschen zum Menschen?„, „Ja, aber es ist noch kein richtiger Mensch„, das „Zitat des Tages X – Unabhängig?„, „Konsequent Abtreiben“ bzw. „Ich denke, also bin ich – Renè Descartes„. Oder folgenden Vortrag von Spaemann selbst:
1: https://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf; S. 9/22
2: ebd.
3: ebd.
4: Spaemann Robert; Personen – Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“; 2019; Klett Cotta Verlag; S. 13
5: ebd.; S. 10
6: Trautemarie Blechschmidt; Der Mench – Person von Anfang an; in Handbuch für Lebensschutz und Lebensrecht; Hrg. Balkenkohl und Rösler; 2010; Bonifatius GmbH; S. 219
7: siehe 4; S. 10
8: siehe 4; S. 289
9: siehe 4; S. 11
10: Adrienne Weigl; Der preisgegebene Mensch; 2007; Dr. Ingo Resch Verlag; S. 80f.
10: Robert Spaemann; Wann beginnt der Mensch Person zu sein? in Biopolitik; Hrg: Manfred Spieker; 2009; Ferdinand Schöningh; S.43
11: ebd.
12: ebd.
13: siehe 6; S. 220
14: ebd.
15: Rainer Beckmann; „Selbstbestimmung“ über das Leben UNgeborener? in Abtreibung ein neues Menschenrecht?; 2. Auflage; 2014; Hrg.: Büchner/Kaminskis/Löhr; Sinus Verlag GmbH; S. 52
16: siehe 6; S. 221
Bilder: Babypuppen; Gitter_Mensch; MannUndFrau; Titelbild; Mama_mit_Baby
Sebastian Meichßner
Ohne Menschen gäbe es keinen Staat, EU, Politiker. Scheinbar wurde das vergessen. Denn jetzt scheint es ohne (Zustimmung des) Staat(es), keine Menschen mehr zu geben. Nur noch Personen. Personen können aber ohne ihr Menschsein nicht existieren. Wir sägen munter, fröhlich an dem Ast auf dem wir sitzen.
Sebastian Meichßner
Laut John Locke’s Theorie, braucht der Mensch unbedingt ein Bewusstsein für seine Taten, um eine Person sein zu können. In seiner Staatstheorie kann man Menschen nur das anhängen, an was sie sich auch erinnern können. Aber ist es nicht so, dass man Personen auch Dinge anhängen kann, an die sich andere über eben jene Person erinnern können? Zeugenberichte zum Beispiel? Man kann keine Person sein, wenn man nur auf sich selbst bezogen ist. Person ist man nur in Beziehungen.
Deswegen ist der Embryo auch schon eine Person. Weil ihm seine Eltern als „Zeugen“ Dinge berichten kann, die er z.B. schon in der Schwangerschaft erlebt hat. „Du hast so gestrampelt.“ „Es war eine schwierige Schwangerschaft.“
Der Vortrag von Spaemann ist sehr, sehr gut.