Wenn z.B. zwei Männer ihre Homosexualität ausleben, dann können sie das doch machen. Sie können hinter verschlossener Schlafzimmertür tun was auch immer ihnen beliebt. Wenn ich jetzt aber von jeglichen Informationen darüber verschont werden möchte, oder mir sogar etwas Unbehagen leiste, droht in dem Falle die Diagnose „Homophobie“. Warum?
Carl R. Trueman schreibt in ‚Der Siegeszug des modernen Selbst‘: „Wenn zwei Männer in der Privatsphäre ihres Schlafzimmers eine sexuelle Beziehung haben, leert ihnen mein Unbehagen nicht die Brieftasche und bricht ihnen auch nicht die Beine […]. Warum also sollte eine Ablehnung der gegenwärtigen sexuellen Sitten in der Öffentlichkeit als unmoralisch und untragbar angesehen werden?“1
„Solche Fragen“, schreibt Trueman weiter, „übersehen einen wichtigen Punkt. Wenn es nur um sexuelle Aktivitäten ginge, würden die Emotionen wahrscheinlich gar nicht so hochschlagen. Aber hier geht es um weit mehr als um bloße Verhaltensregeln. Wenn wir uns mit dem Verhalten befassen, das durch die sexuelle Revolution in den Vordergrund gerückt ist, sprechen wir eigentlich von Identität. Und wenn wir von Identität sprechen, steht öffentlich und politisch unglaublich viel auf dem Spiel, und es werden viele weitere Fragen aufgeworfen. […]
Für die sexuellen Revoulutionäre in der Tradition von Wilhelm Reich und Herbert Marcuse – z.B. Shulamit Firestone – ist die Beseitigung von Widerspruch gegenüber der sexuellen Revolution einfach eine Frage der politischen Befreiung. Das repressive Wesen der bürgerlichen Gesellschaft beruht auf repressiver Sexualmoral, die die patriarchalische Kernfamilie als Norm aufrechterhält. Solange dieser Zustand anhält, kann es keine wahre Befreiung geben, weder politisch noch wirtschaftlich. Die Zerschlagung sexueller Spielregeln ist daher eine der wichtigsten emanzipatorischen Aufgaben des politischen Revolutionärs.“2
Wilhelm Reich – Die sexuelle Revolution
Kostprobe gefällig. Reich an Ideen, um die politische und sexuelle Befreiung zu erreichen, schrieb Wilhelm in seinem Buch, das in den Jahren 1918 – 1935 entstand und 1966 veröffentlicht wurde, folgendes:
„Die patriarchalische Familie ist die strukturelle und ideologische Reproduktionsstätte aller gesellschaftlichen Ordnungen, die auf dem Autoritätsprinzip beruhen. Mit der Abschaffung dieses Prinzips, mußte automatisch auch die Familiensituation erschüttert werden.
Der Zerfall der Zwangsfamilie ist der Ausdruck dafür, daß die sexuellen Bedürfnise der Menschen die Fesseln sprengen, die ihnen mit der wirtschaftlichen und autoritären familiären Bindung auferlegt wurden. Es vollzieht sich die Trennung von Wirtschaft und Sexualität. Stand vorher im Patriarchat das Sexualbedürfnis im Dienste und daher unter dem Zwange wirtschaftlicher Interessen einer Minderheit; stand im urkommunistischen Matriarchat die Wirtschaft im Dienste der Bedürfnisbefriedigung der Gesamtgesellschaft (auch der sexuellen), so zielt die echte soziale Revolution eindeutig darauf, die Wirtschaft wieder in den Dienst der Bedürfnisbefriedigung aller produktiv Arbeitenden zu stellen. Diese Umkehrung des Verhältnisses von Bedürfnis und Wirtschaft ist einer der Kernpunkte der sozialen Revolution. Nur aus diesem allgemeinen Prozeß ist der Zerfall der Zwangsfamilie zu begreifen.“3
[Nebenbei bemerkt: Das Wort „Zwang“, bezogen auf biologische Gegenbenheiten, scheint Reich and Judith Butler, die gerne von „Zwangsheterosexualität“ sprach, vererbt zu haben.]
Und Reich fordert ein paar Seiten später, dass z.B. eine „revolitionäre Bevölkerungspoltik“ nur so gedacht werden kann: „Die Bevölkerung muß das Empfinden bekommen, daß man sie gerade in diesem Punkt unmißverständlich in der Frage des sexuellen Genusses, genau begreift und alles zu tun bereit ist, um ihr das sexuellen Glück zu sichern und sie auch zu befähigen es zu genießen.“4
Sein Kollege aus der Frankfurter Schule, Max Horkheimer hatte, nachdem er ebenfalls solche Gedanken hegte, die Kurve noch gekriegt. Horkheimer hatte einfach mal genauer hingeschaut. Reich hingegen scheint im Rausch der Lust völlig vernebelt.
Ach, und apropos Zustimmung. Wenn, dann stimmen wir allerhöchsten der Auffassung von Horkheimer zu, „daß die Familie die verläßlichste und erfolgreichste Gegeninstanz gegen den Rückfall in die Barbarei ist, von dem jedes Individuum während seiner Entwicklung bedroht wird.“5
Quellen zuletzt aufgerufen am 20.05.2023:
1: Carl R. Trueman, Der Siegeszug des modernen Selbst, 2022, Verbum Medien gGmbH, S. 60.
2: ebd., S. 60f.
3: Wilhelm Reich, Die sexuelle Revolution, 1971 ungekürzte Ausgabe, Firscher Taschenbuch Verlag, S. 161. Hervorheb. d. Autors.
4: ebd., S. 211.
5: Horkheimer Max, Autorität und Familie in der Gegenwart. In: Derbolav, Josef und Nicolin, Friedhelm (Hrsg.): Erkenntnis und Verantwortung, Festschrift für Theodor Litt, Düsseldorf, 1960, Pädagogischer Verlag Schwann, S. 167 | Ebenfalls abgedruckt ist der Beitrag in Max Horkheimer: „Autorität und Familie in der Gegenwart“, in: Gesammelte Schriften, Band 5: ‚Dialektik der Aufklärung‘ und Schriften 1940 – 1950, Frankfurt a. M., 1987, Fischer Verlag S. 377-395
Bildernachweis: Menschen mit Tüten auf dem Kopf: https://unsplash.com/photos/CQORaGN9sDs?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditShareLink; Mann sitzt Herzen: https://unsplash.com/photos/uB16HY_ah4o?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditShareLink; Mann streckt Zunge raus: https://unsplash.com/photos/6dJ4fApKPk8?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditShareLink
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